Alternative Wasserstoff

In einem sind sich alle einig: Auch Lkw müssen deutlich klimafreundlicher werden. Die Kombination aus Verbrennungsmotor und Wasserstoff kann dafür einen wichtigen Beitrag leisten. Bis 2030 muss der CO2-Ausstoß von Lkw über 16 Tonnen Gesamtgewicht um 30 Prozent sinken. Wasserstoffbetriebene Verbrennungsmotoren können helfen, diese Anforderungen zu erfüllen. Zudem bieten sie eine ähnliche Reichweite wie Dieselantriebe und lassen sich rechtzeitig in Serie bringen. IAV hat diesen Ansatz detailliert untersucht und kennt dadurch die Chancen und Herausforderungen des H2-Motors.

Bereits vor Jahren hat die EU Kohlendioxid-Grenzwerte für Pkw beschlossen, seit 2019 ist nun klar: Auch Lkw mit einem Gesamtgewicht über 16 Tonnen müssen bald weniger CO2 ausstoßen. Bis 2025 sollen die Emissionen um 15 Prozent sinken, bis 2030 nochmal um den gleichen Betrag – immer bezogen auf den Stand des Jahres 2019 und auf Basis einer Tank-to-Wheel-Berechnung. Außerdem verlangt die EU, dass zwei Prozent der Modelle einer Lkw-Flotte „Low Emission“- oder „Zero Emission“-Fahrzeuge sein müssen. Damit werden Technologien zur CO2-Vermeidung in den nächsten Jahren auch die Nutzfahrzeug-Entwicklung dominieren.

Diverse Alternativen zum klassischen Dieselantrieb

Verschiedene Technologien haben das Potenzial, dazu einen Beitrag zu leisten. Der klassische Dieselmotor könnte die CO2-Vorgaben erfüllen – würde er mit klimaneutralen synthetischen Kraftstoffen betrieben. Damit diese positiv auf den Flottenverbrauch angerechnet werden können, müsste der Gesetzgeber allerdings eine Well-to-Wheel statt der Tank-to-Wheel-Bilanzierung einführen.

Batterieelektrisch angetriebene Lkw werden, den aktuellen Diskussionen folgend, als erste Alternative genannt. Aber: Noch sind die Energiedichten der Batterien so niedrig, dass sie in einem Langstreckentruck mehrere Tonnen wiegen – und jede Tonne weniger Ladung kostet die Logistiker wertvollen Umsatz. „Die heutigen Batterietechnologien sind für den Einsatz in Fernverkehr-Nutzfahrzeugen noch nicht optimal geeignet“, sagt darum Jörn Seebode, Senior Vice President Commercial Vehicles bei IAV. „Dafür wäre ungefähr die zehnfache Energiedichte nötig.“

Wasserstoff ist ein weiterer Anwärter auf die Diesel-Nachfolge. In diesem Zusammenhang wird bisher vor allem über den Einsatz in Brennstoffzellen diskutiert. Diese müssen für den Einsatz in Nutzfahrzeugen allerdings noch einige Hürden nehmen: „Die aktuell noch geringe spezifische Leistung der Brennstoffzellen führt nach heutigem Stand zu hohen Kosten, da schwere Lkw mehrere Brennstoffzellen benötigen. Mittel- bis langfristig können sie aber durchaus eine Alternative sein“, sagt Marc Sens, Fachbereichsleiter Vorentwicklung Antriebsstrang bei IAV. „Hinzu kommt, dass Brennstoffzellen sehr sensibel auf Verunreinigungen im Wasserstoff reagieren und in ihrer Dauerhaltbarkeit zumindest heute noch nicht den Anforderungen im Nutzfahrzeug genügen.“

Wasserstoff kann aber nicht nur in Brennstoffzellen zu Strom für E-Maschinen umgewandelt werden, sondern lässt sich auch in einem Motor verbrennen. Dies geschieht sogar nahezu emissionsfrei, denn Wasserstoff verbrennt ohne kohlenstoffbasierte Schadstoffe.

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Wasserstoffbetriebener Verbrennungsmotor: klimaneutral und „Zero Emission“

IAV hat bereits vor einigen Jahren intensiv an der Entwicklung von aufgeladenen Wasserstoffverbrennungsmotoren mit direkter Einspritzung gearbeitet und ist daher mit der Technik vertraut. „Wir kennen die Chancen und Herausforderungen, außerdem wissen wir, wie man einen wasserstoffbetriebenen Verbrennungsmotor in Serie bringen kann“, so Seebode. Die Chancen sind tatsächlich groß: Regenerativ erzeugter Wasserstoff ist klimaneutral und würde demnach wie ein E-Fahrzeug behandelt werden, also mit 0 Gramm CO2/km. Zudem ließen sich die NOx-Emissionen des Antriebs mit der richtigen Betriebsstrategie auf nahezu Null reduzieren – möglicherweise ganz ohne Abgasnachbehandlungsanlage. „So könnten Lkw mit wasserstoffbetriebenem Verbrennungsmotor nicht nur die CO2-Grenzwerte einhalten, sondern auch das Zero-Emission-Ziel erreichen“, erklärt Sens. „Damit hätten sie die Erlaubnis, auch künftig in Ballungsräume zu fahren.“

Die technischen Herausforderungen sind lösbar. Grundsätzlich ähnelt ein wasserstoffbetriebener Verbrennungsmotor einem Benziner, selbst das Verdichtungsverhältnis unterscheidet sich kaum. Da Wasserstoff selbst in hochverdünntem Zustand effizient verbrennt, kann er mager betrieben werden und erzeugt kaum NOx-Rohemissionen. Allerdings benötigt ein mager betriebener H2-Antrieb ein hoch effizientes Aufladesystem, weil sonst die Energiedichte im Zylinder zu gering ist, um ansprechende spezifische Leistungen zu erzielen. „Hier ist noch Entwicklungsarbeit nötig“, sagt Sens. „Der Turbolader muss effizienter werden und eine höhere Variabilität aufweisen.“

Eine weitere Herausforderung bei der Entwicklung von H2-Verbrennungsmotoren ist das Wasserstoff-Einspritzsystem. Eine direkte Einblasung des Wasserstoffs in den Zylinder des Verbrennungsmotors sollte aufgrund der Leistungsdichte sowie aus sicherheitstechnischen Belangen angestrebt werden. Bislang sind aber keine serienerprobten Direkteinblaseventile im Markt verfügbar. Auch hier kann IAV seine langjährige Kompetenz in der Entwicklung von Einspritzsystemen für gasförmige Kraftstoffe einbringen.

Als dritte Herausforderung kann das Speichern des Wasserstoffs bzw. das Tanksystem genannt werden: Es muss genügend Kraftstoff auf möglichst geringem Raum speichern. Dazu stehen Tieftemperatur- und Druckspeicher zur Verfügung. Letztere werden im Pkw-Bereich mit bis zu 700 bar betrieben, was jedoch nur bei relativ kleinen Tanks praktikabel ist. Für große Tanks müsste der Wasserstoff während der Befüllung gekühlt werden, was zu hohen Kosten führt. In Nutzfahrzeugen dürfte darum ein Druck von 350 oder 500 bar den Vorzug erhalten. Weiterhin könnten alternative Technologien wie Kryogenspeicher oder LOHC (Liquid Organic Hydrogen Carriers) zum Einsatz kommen. Die Tankzeiten sind nur geringfügig länger als beim Diesel, und damit können langstreckentauglich Reichweiten realisiert werden.

Allerdings gibt es derzeit noch zu wenige Wasserstoff-Tankstellen: 75 sind bereits eröffnet, bis 2020 sollen es 100 sein.

Im ersten Schritt würde es aber genügen, den Ausbau an den Knotenpunkten des Schwerlastverkehrs voranzutreiben – zumal das Nachtanken im Vergleich zum Nachladen einer Batterie wesentlich schneller abläuft und darum deutlich weniger Fläche und Infrastruktur entlang der Autobahnen benötigt wird.

»Die Kombination aus Verbrennungsmotor und Wasserstoff bietet die in der Logistik erforderliche Reichweite, weist eine hohe Dauerhaltbarkeit auf, ist kostengünstig und basiert auf einer etablierten Technologie«

Jörn Seebode — Senior Vice President Commercial Vehicles

Praxistauglich und serienreif bis 2025

„Die Kombination aus Verbrennungsmotor und Wasserstoff bietet die in der Logistik erforderliche Reichweite, weist eine hohe Dauerhaltbarkeit auf, ist kostengünstig und basiert auf einer etablierten Technologie“, fasst Seebode zusammen. „Sie ist darum aus IAV-Sicht eine sehr gute Möglichkeit, um bei der Erfüllung der CO2-Vorgaben für den Schwerlastverkehr zu helfen – und sie ließe sich bis 2025 in Serie bringen.“ Voraussetzung ist dabei, dass sich die Hersteller auf eine einheitliche Tanktechnologie einigen und möglichst viele gleiche Komponenten einsetzen, um die Stückpreise zu verringern. Dann könnten wasserstoffbetriebene Verbrennungsmotoren in einigen Jahren in 25-, 28- und 40-Tonnern erfolgreich zum Einsatz kommen.

Wasserstofffähiger Prüfstand für Nutzfahrzeugmotoren

Ab sofort verfügt IAV im Entwicklungszentrum Gifhorn über Testmöglichkeiten für Wasserstoffantriebe bei Nutzfahrzeugmotoren.

Leistung:

  • 660 kW / 3500 Nm
  • transienter Motorbetrieb
  • vollständige Prüfung und Zertifizierung der Emissionen möglich

Der Artikel erschien in der automotion 01/2020, dem Automotive Engineering-Fachmagazin von IAV. Hier können Sie die automotion kostenfrei bestellen.

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