Applikation und Absicherung im Zeichen von RDE

Mit einer Simulationsumgebung von IAV lässt sich die zunehmende Komplexität bei motorischen und emissionstechnischen Aufgaben beherrschen

Applikateure haben es nicht leicht: Sie müssen sich mit immer strengeren Emissionsgrenzwerten und einer steigenden Zahl von Fahrzeugderivaten beschäftigen. Zudem erhöht sich die Komplexität der Bedatung im Bereich Motor und Emissionen wegen der RDE-Vorgaben (Real Driving Emissions) – müssen Fahrzeuge in Zukunft doch unter vielen Randbedingungen die Einhaltung konstant niedriger Emissionen erfüllen. Die geschlossene Simulationsumgebung zur Bedatung der Steuergerätefunktionen weist hier den Weg und beschleunigt die Arbeit der Applikateure.

Die Arbeit am Schreibtisch ergänzt den Betrieb am Prüfstand oder die Versuchsfahrt und ermöglicht effizientes Testen: Das ist die Idee hinter dem IAV-Werkzeug. „Es stellt dem Applikateur eine geschlossene Simulationsumgebung für die Bedatung der Steuergerätefunktionen zur Verfügung“, so Stephan Adelberg, einer der Entwickler, der maßgeblich an dem neuen Werkzeug mitgewirkt hat. „Bisher waren lediglich Einzelmodelle im Einsatz, die zudem nur in Spezialsoftware wie GT oder AMESIM modelliert waren und keine Schnittstellen zu Standard-Applikationswerkzeugen wie INCA oder CANape hatten.“

Anders die IAV-Simulationsumgebung: Das Werkzeug verknüpft mehrere Einzelmodelle zu einer in sich geschlossenen Modellkette mit mindestens den Modulen Fahrzeug, Motor, Motorsteuerung und Abgasnachbehandlung. So lassen sich viele Tests auf dem Prüfstand oder Versuchsfahrten mit den schwer verfügbaren Prototypen virtuell abbilden oder sogar ersetzen. Applikateure können damit beispielsweise verschiedene Varianten neuer Fahrzeugkonzepte vergleichen oder die Abgasnachbehandlungsanlage auslegen bzw. anpassen. „Die Methodik ist sehr variabel, sodass man damit an beliebigen Stellen im Entwicklungsprozess einsteigen kann“, erklärt Adelberg. „Es gibt derzeit kaum ein vergleichbares Werkzeug für das Gesamtfahrzeug.“

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Toolgleichheit für den Applikateur

„Ein zentraler Aspekt bei der Entwicklung der Modellumgebung war, dass der Applikateur seine bekannten Tools wie INCA (Standardsoftware für den Zugriff auf das Motorsteuergerät) für die virtuelle Applikation nutzen kann“, betont Adelberg. „Denn nur dadurch ist eine unmittelbare Integration in den existierenden Applikationsprozess gewährleistet.“

In der Anwendung wird dies folgendermaßen realisiert: Das MATLAB®-basierte IAV-Tool Velodyn dient als Integrationsplattform für die einzelnen Modelle. Die Erzeugung eines ausführbaren Gesamtmodells mit den beschriebenen Einzelmodellen als .exe-Datei wird mithilfe des IAV-Tools MiLDesk realisiert. Hinzu kommen zwei Beschreibungsdateien im .a2L- und .hex-Format, mit denen sich das Modell in INCA einbinden lässt. Das kompilierte Gesamtmodell ist jetzt auf jedem Desktop-PC lauffähig und kommuniziert über das Standard-Protokoll XCP mit INCA; eine Simulationssoftware wie MATLAB® ist nicht mehr notwendig. „Die Simulationsergebnisse werden mit INCA genauso gemessen wie bei Tests auf dem Prüfstand oder mit einem Versuchsfahrzeug“, sagt Adelberg. „So bekommt der Applikateur ein unmittelbares Feedback und kann die Auswirkungen seiner Eingaben sofort beurteilen.“

Durch die geschlossene Simulationsumgebung lassen sich nicht nur viele Versuchsfahrten und Prüfstandstests einsparen – sie hilft auch dabei, den gestiegenen Bedatungsaufwand für RDE und die damit verbundene statistische Absicherung in Grenzen zu halten. Denn ohne Simulationswerkzeuge müssten die Applikateure neue Fahrzeuge unter allen denkbaren Randbedingungen auf dem Prüfstand oder während einer Testfahrt untersuchen. „Das ist eine fast unmögliche Aufgabe, schon wegen der Vielzahl der Tests und den komplexen Kombinationen aus Testrandbedingungen“, so Adelberg. „Mit dem Gesamtmodell lässt sich die zunehmende Komplexität aber beherrschen. Wir können zum Beispiel die Umgebungstemperatur oder die Höhe über dem Meeresspiegel im Modell vorgeben und testen, ob das Fahrzeug innerhalb der Emissionsgrenzwerte bleibt.“ Es lassen sich RDE-konforme Fahrstreckenprofile generieren, die der Applikateur mit dem virtuellen Fahrzeug abfahren kann.

Ein weiterer Aspekt der Simulationsumgebung ist die Modularität. Beispielsweise kann das Werkzeug so angepasst werden, dass ein echtes Steuergerät anstelle eines virtuellen Steuergerätes an einem HiL-System (Hardware-in-the-Loop) eingebunden werden kann. Auch hier bekommt der Applikateur durch die IAV-Modellumgebung die Möglichkeit, mit Hilfe von Modellen Funktionen unter komplexen Randbedingungen wie zum Beispiel für RDE zu bedaten.

Entwickeln – schneller als in Echtzeit

Die Simulationen innerhalb des Gesamtmodells laufen je nach Komplexität der Einzelmodelle deutlich schneller als in Echtzeit ab. Deshalb steigt der zeitliche Vorteil, je mehr die virtuelle Applikation am Schreibtisch im Vergleich zu realen Testfahren eingesetzt wird. „Immer mehr Derivate und Testfälle bei immer weniger der teuren Prototypen: Das ist derzeit die größte Herausforderung für Applikateure“, fasst Adelberg zusammen. „Nur wenn wir unsere Methoden weiterentwickeln, können wir die Bedatung auch künftig noch in überschaubarer Zeit durchführen.“

Die geschlossene Simulationsumgebung ist seit zwei Jahren verfügbar und schon in vielen Kundenprojekten zum Einsatz gekommen. Die neue Methodik erweist sich dabei als besonders effizient, wenn in Serienprojekten viele Fahrzeugderivate im Spiel sind und die Entwickler möglichst früh mit der Modellbildung beginnen.

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