Auf den Nanometer genau

Präzise Online-Verschleißmessungen mit der Radionuklid-Methode

Reibung und Verschleiß nehmen in der Automobilentwicklung eine immer größere Rolle ein. Insbesondere durch den Trend zu virtuellen Entwicklungsmethoden steigt dabei die Bedeutung von Modellen, die schon frühzeitig Aussagen über die Kontaktreibung und den Verschleiß in verschiedenen Betriebspunkten ermöglichen. Online-Verschleißmessungen mit radioaktiven Nukliden sind die optimale Methode, um die Qualität von Simulationen zu überprüfen und zu verbessern. IAV bietet solche Messungen in Zusammenarbeit mit seinem Partner DSI an.

Reibung tritt überall dort auf, wo eine Relativbewegung zwischen Körpern stattfindet. Sie erschwert die gegenseitige Bewegung, was zu einem steigenden Kraftstoffverbrauch und damit auch zu steigenden CO2-Emissionen führt. Zudem verringert sich durch Verschleiß die Nutzungsdauer von Komponenten. In Fahrzeugen sind beispielsweise die Kolbenringe, die Haupt- und Pleuellager sowie die Nockenwellenlager und häufig der Steuertrieb besonders stark von Reibung und Verschleiß betroffen.

Ziel bei der Entwicklung neuer Komponenten ist es darum, Reibung und Verschleiß möglichst gering zu halten. „Da der Trend derzeit eindeutig in Richtung Virtualisierung geht, brauchen wir dafür Modelle, die Reibung und Verschleiß exakt beschreiben“, sagt Dr. Michael Berg, Fachbereichsleiter NVH, Entwicklungsmethoden und Prototyping bei IAV. „Um diese Modelle zu entwickeln und zu verbessern, sind präzise Verschleißmessungen erforderlich.“

Verschleißrate live verfolgen

Die geometrische Vermessung des Abriebs während eines Dauerlaufs auf dem Prüfstand ist eine Möglichkeit für die Verschleißmessung. Für den Abgleich mit Berechnungsmodellen ist dieses Verfahren aber nicht geeignet: „Es liefert nur integrale Aussagen, also den gesamten Verschleiß nach einer bestimmten Zeit“, erklärt Klaus Herrmann, Teamleiter Grundmotorenversuch bei IAV. „Uns interessiert aber vor allem der Verschleiß bei bestimmten Betriebszuständen und seine Veränderung bei Übergängen zu anderen Zuständen. Wir wollen transiente Vorgänge beobachten und die aktuelle Verschleißrate live verfolgen – denn nur so können wir Ursache und Wirkung direkt einander zuordnen.“

Dafür bietet sich die Verschleißmessung nach der Radionuklid-Methode an. Zunächst wird die zu untersuchende Komponente – zum Beispiel ein Kolbenring – in einem Teilchenbeschleuniger mit Protonen, Deuteronen (Proton plus Neutron) oder Alphateilchen (zwei Protonen plus zwei Neutronen) beschossen. Durch Reaktionen dieser Teilchenstrahlung mit den Atomkernen im Kolbenring wird dieser in einer dünnen Schicht (ca. 20 bis 100 Mikrometer) radioaktiv. Damit ist die Voraussetzung für die Livemessung des Verschleißes geschaffen.

Kurze Reaktionszeit und hohe Sensitivität

Betreibt man die Aggregate mit den verbauten radioaktiv markierten Teilen, gelangen durch Verschleiß immer mehr radioaktive Partikel in den Ölkreislauf. Ein Detektor für Gammastrahlung misst die Radioaktivität und ermöglicht es so, den zeitlichen Verlauf des Verschleißes zu bestimmen. Sichtbar wird beispielsweise, wie sich Öladditive auswirken. „Bei transienten Vorgängen haben wir eine sehr kurze Reaktionszeit von wenigen Sekunden“, berichtet Berg. „Hinzu kommt die hohe Sensitivität von weniger als einem Nanometer pro Stunde.“ Dadurch sind mit der Radionuklid-Methode selbst Echtzeitmessungen sehr harter Schichten mit minimalen Verschleißraten möglich – und das ohne jeden Einfluss auf die Motorkennwerte sowie über das gesamte Kennfeld.

IAV verfügt über alle Genehmigungen für den Umgang mit radioaktiven Materialien und kann darum selbst Messungen mit dieser etablierten Methode durchführen. „Wir arbeiten auf diesem Gebiet mit dem belgischen Unternehmen Delta Services Industriels (DSI) zusammen, das die Radionuklid- Methode seit mehr als 15 Jahren für die präzise Echtzeitmessung des Motorverschleißes einsetzt“, so Herrmann. „DSI ist weltweit etabliert bei der Nutzung radioaktiver Markertechniken und hat Kunden aus der Automobil-, Schmiermittel- und Luftfahrtindustrie.“

Bis zu fünf Komponenten gleichzeitig

Besonderes Kennzeichen des IAV-Verfahrens ist die hohe Sensitivität des High-Purity- Germanium(HPGE)-Detektors für Gammastrahlen, die 30-mal höher ist als bei Natrium- Iodid(NaI)-Detektoren. Dadurch lässt sich der Verschleiß von bis zu fünf Komponenten gleichzeitig live verfolgen – mit NaIDetektoren ist diese Zahl auf maximal zwei begrenzt. Voraussetzung dafür ist allerdings, dass sich die fünf Bauteile jeweils auf unterschiedliche Weise radioaktiv aktivieren lassen und dadurch auch Gammastrahlung mit unterschiedlichem Energiegehalt emittieren.

Im Moment ist die Radionuklid-Methode bei IAV für Verschleißmessungen an Verbrennungsmotoren im Einsatz, in Zukunft soll sie aber auch in Prüfständen für Komponenten, Getrieben oder E-Achsen verwendet werden.

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