Auf diese Fahrwerkfunktionen können autonome Fahrzeuge bauen
Mit dem autonomen Fahren kommen im Bereich der funktionalen Sicherheit von Fahrwerk funktionen völlig neue Herausforderungen auf Ingenieurteams zu. Sobald der Mensch nicht mehr selbst ins Lenkrad greift, müssen alle sicherheitsrelevanten Prozesse jederzeit vollumfänglich eigenständig funktionieren. Technische Maßnahmen, wie die bereits aus Flugzeugen bekannte inhomogene Redundanz oder permanentes Safety Monitoring, ermöglichen einen störungsfreien Betrieb.

HEAT: Praktische Erfahrungen in einer Großstadt
Solche neuen Ansätze kann das HEAT-Projekt (Hamburg Electric Autonomous Transportation) liefern, in dessen Rahmen IAV mit Partnern ein autonom fahrendes Shuttle für den Einsatz in einer Großstadt entwickelt hat. Aktuell fährt HEAT zwar mit einem Fahrzeugbegleiter, der das Verhalten des Shuttles überwacht, allerdings sind zahlreiche Level 4-Funktionen integriert, wodurch sich das Shuttle bereits heute eigenständig im Verkehr bewegt. „So konnten wir nicht nur wertvolle praktische Erfahrungen sammeln, sondern auch ein tiefes Verständnis für die Funktionale Sicherheit in solchen Systemen
entwickeln“, sagt Martin Gebhardt, Abteilungsleiter Steering bei IAV.

«Gemeinsam mit unseren Kunden vollziehen wir bereits heute im Fahrwerkbereich den Sprung von Level 2 auf Level 4 – und liefern zusätzlich genaue Kosten-Nutzen-Analysen zu bestimmten Sicherheitslösungen.»
— Abteilungsleiter Steering bei IAV
Eine sinnvolle Lösungsoption zur Erweiterung auf das Automatisierungslevel 4 ist die Redundanz: Fällt eine Steuerung aus, beispielsweise wegen eines Hardware Fehlers, dann übernimmt eine andere. „In Flugzeugen sind sicherheitskritische Systeme mehrfach redundant vorhanden und bei Unstimmigkeiten entscheidet die Mehrheit der Systeme“, erklärt Dr. Marcus Perner, Fachreferent Funktionale Sicherheit bei IAV. Für Serienfahrzeuge wäre diese Lösung allerdings sehr kostenintensiv. Es ist essentiell, ein optimiertes Sicherheitskonzept zu definieren. Diagnosen und Sicherheitsmechanismen bilden dafür den wesentlichen Kern. Durch das sukzessive Vorgehen und Ableiten von Sicherheitsmaßnahmen wird deutlich, an welchen Punkten eine Redundanz notwendig ist.
Hier bietet es sich an, auf „inhomogene Redundanz“ zu setzen – zum Beispiel für den Fall, dass ein Sensor des Lenksystems nicht mehr korrekt funktioniert: Diese unplausiblen Sensordaten könnten ein unkontrollierbares Verhalten des Lenkaktors hervorrufen, was wiederum zu einer gefährlichen Fahrsituation führen könnte. Eine Diagnose würde die fehlerhaften Daten des Sensors erkennen. Infolgedessen schaltet eine Logik für den weiteren Betrieb auf den Sekundärsensor um. Entscheidend ist dabei, dass sich der zweite Sensor technologisch vom Primärsensor unterscheidet, um die Wahrscheinlichkeit für eine gleichzeitige identische Fehlfunktion deutlich zu reduzieren. Der Fehler kann dann nicht in der gleichen Art und Weise wirken.
Drei-Ebenen-Konzept für mehr Sicherheit
Ein weiteres sinnvolles Sicherheitselement ist das angepasste Drei-Ebenen-Überwachungskonzept. Es basiert auf dem standardisierten E-Gas-Überwachungskonzept, aus dem das Prüfkonzept übernommen wurde. Auf der untersten Ebene befindet sich die eigentliche Funktion. Darüber ist die Überwachungsebene positioniert, die Fehler auf der funktionalen Ebene entdeckt und Ersatzmaßnahmen einleitet. Erste und zweite Ebene laufen auf dem gleichen Funktionsrechner, arbeiten jedoch unabhängig voneinander. Die dritte Ebene arbeitet sowohl auf dem Funktions- als auch auf dem Überwachungsrechner.
Eine ihrer wesentlichen Funktionen ist die Überwachung der korrekten Wirkweise der Überwachungsebene. Sorgen müssen sich die Fahrgäste künftiger Level 4-Fahrzeuge nicht machen: „Studien zeigen, dass der Technik statistisch gesehen schon heute viel weniger Fehler unterlaufen als dem Menschen“, berichtet Dr. Marcus Perner. „Allerdings stellt die Öffentlichkeit auch höhere Ansprüche an sie – darum ist es so wichtig, dass die funktionale Sicherheit der Fahrwerksfunktionen in allen Situationen gewährleistet ist.“
Der Artikel erschien in der automotion 03/2021, dem Automotive Engineering-Fachmagazin von IAV. Hier können Sie die automotion kostenfrei bestellen.