Batterien in Quarantäne

Immer mehr Fahrzeughersteller bringen Elektroautos auf den Markt – und testen sie zuvor bei Crashversuchen. Das ist nicht ohne Risiko, deshalb erfordern die Fahrzeugsicherheitsversuche mit E-Autos einen besonderen Ablauf und zusätzliche Sicherheitsmaßnahmen. Die IAV-Crashanlagen in Gifhorn und Ingolstadt sind personell und technisch auf alle Eventualitäten vorbereitet – inklusive Abklingbecken und isoliertem Gabelstapler.

Bei konventionellen Fahrzeugen folgen Crashversuche einem relativ einfachen Drehbuch: Das Auto wird zerlegt zwecks Einbau von Sensoren und Kameras. Nach der mechanischen und elektrischen Vorbereitung nehmen die Dummys im Inneren Platz. Nun der Höhepunkt: Mit zehn bis 80 Kilometern pro Stunde prallt das Testfahrzeug gegen ein Hindernis. Eine Fotoanalyse am Crashblech liefert erste Erkenntnisse zu den Schäden. Mehr Details ergeben sich später, wenn das Auto für weitere Analysen zerlegt wird. Soweit ist alles gut geübte Routine – für das Team in der Crashhalle besteht kaum Gefahr.

Elektroautos mit ihren Hochvolt (HV)-Systemen ändern die Tests grundlegend. Ohne entsprechend ausgelegte Sicherheitsvorkehrungen besteht hier für Menschen Lebensgefahr.

«Die künftigen Anforderungen an die Reichweite von Hochvoltfahrzeugen führen zum Einsatz immer höherer Spannungen, waren bei den ersten Hybrid-Fahrzeugen Spannungen um 48 Volt die Regel, gibt es heute bei batterieelektrischen Fahrzeugen Spannungen bis zu 800 Volt. In Zukunft ist sogar mit mehr als 1.000 Volt zu rechnen.»

Dr. Burkhard Scholz — IAV Fahrzeugsicherheit GmbH

Hochvoltsystem zuerst inaktiv schalten

Vor einem Crashversuch wird das Fahrzeug bei ausgeschaltetem HV-System mit den Sensoren bestückt. Darüber hinaus werden an der Batterie Spannung und Temperatur gemessen. Im nächsten Schritt steht die Inbetriebnahme der Software auf dem Programm, die wegen der neuen Bordnetzarchitekturen besonders aufwendig ist. „Alle Komponenten müssen funktionieren, weil alles mit allem zusammenhängt“, sagt Florian Mayr von der IAV Fahrzeugsicherheit GmbH. „Selbst der Außenspiegel muss funktionieren, sonst geht gar nichts.“ Sobald die Software aktualisiert ist, wird das Fahrzeug messtechnisch vorbereitet. Danach rollt das E-Auto auf die Crashbahn, immer begleitet von einer speziell geschulten Elektrofachkraft. Nun kann der Crash stattfinden.

Nicht nur die Vorbereitung, auch die Phase nach dem Crash unterscheidet sich deutlich von Versuchen mit konventionellen Autos. „Wir müssen das Fahrzeug mindestens zehn Minuten unter Quarantäne stellen, da der Brand einer Batterie nicht schlagartig erfolgt“, so Scholz. „Dabei stehen immer zwei Feuerwehrleute in Schutzanzügen bereit. Sie sind mit Wärmebildkameras und Gasmessgeräten ausgerüstet.“ Im Notfall schleppen sie das Auto mit einem Gabelstapler mit isolierten Zinken in ein Wasserbecken, wo es bei einem Brand für seine Umgebung nur noch eine geringe Gefahr darstellt. „Brennende Batteriemodule können nicht gelöscht werden. Die Abwärme führt jedoch dazu, dass weitere Module zerstört werden“, erklärt Mayr. „Das hat in der Vergangenheit zum Abbrennen kompletter Fahrzeuge geführt.“

Hohes Sicherheitsrisiko beim Crashtest erfordert intensive Personalschulung

Nach der Quarantäne prüft eine Elektrofachkraft, ob die HV-Spannung abgeschaltet und die Karosserie spannungsfrei ist. Erst danach werden die Versuchsergebnisse dokumentiert. Damit ist das aufwendige Prozedere allerdings nicht beendet: Es folgt unter Umständen eine zweite Quarantäne für 24 Stunden in einer speziellen Garage. „Denn noch immer kann es zu Problemen mit der Batterie kommen“, erklärt Mayr. „Darum messen wir je nach Situation mit einer Batterieüberwachung, ob sich Temperatur oder Spannung auffällig verhalten.“ Ist das der Fall, schickt die Batterieüberwachung eine Meldung in das Notrufsystem, sodass genügend Zeit für Gegenmaßnahmen bleibt. Sollte das Auto für weitere Versuche genutzt werden – bis zu fünf Crashs pro Fahrzeug sind möglich –, werden die nächsten Tests vorbereitet. Dafür müssen die IAV-Expert:innen unter anderem das Kühlsystem in Gang setzen, um die Batterie laden zu können.

„E-Fahrzeuge stellen beim Test ein beherrschbares Sicherheitsrisiko dar“, fasst Scholz zusammen. „Aber wie bei allen neuen Themen müssen wir bei den Abläufen viele Vorkehrungen treffen und unser Personal intensiv schulen.“ Die Qualifikation erfolgt intern und extern beim TÜV und orientiert sich an den von der DGUV vorgegebenen Qualifizierungsgrade.

Allein in Ingolstadt fährt IAV zehn Versuche pro Woche und etwa 400 im Jahr – Tendenz steigend. Das Unternehmen betreibt dort eine der modernsten Crashanlage Europas und kann Kund:innen in jeglicher Crashphase bei der E-Mobilität unterstützen. „Wir haben auf allen Stufen ausgebildete Mitarbeiter:innen“, betont Scholz. „Nicht zuletzt dank der Mitarbeiter:innen und unserer modernen Infrastruktur und Messtechnik ist es bislang noch nie zu einer Havarie gekommen.“

Der Artikel erschien in der automotion 02/2021, dem Automotive Engineering-Fachmagazin von IAV. Hier können Sie die automotion kostenfrei bestellen.

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