„Das nächste Jahrzehnt wird eine Findungsphase sein“

IAV entwickelt Szenarien zu den Energieträgern und Antriebssträngen nach 2030

Welche Energieträger werden um das Jahr 2030 und danach die Mobilität bestimmen? Was bedeutet das für die Automobilentwicklung? Robert Mayer und Nick Elsner beschäftigen sich bei IAV mit Trendscouting und Innovationsmanagement und werfen im automotion-Interview einen Blick in die Zukunft der Mobilität, Antriebsstränge und Energieträger.

Welche großen Treiber verändern in Zukunft die Mobilität?

Robert Mayer: Großen Einfluss werden das weitere Wachstum der Städte, das autonome Fahren und die künftigen Gesetzgebungen haben. Betrachten wir zuerst die Urbanisierung: In Zukunft wird die Mobilität in Innenstädten zunehmend emissionsfrei sein. Singapur will beispielsweise bis 2030 keine privaten Autos mehr in die Innenstadt lassen und sie durch neue Mobilitätslösungen und alternative Stadtkonzepte ersetzen. Solche Konzepte werden elektrifiziert und autonom sein. Zudem wird in urbanen Räumen vermehrt „Mobility on Demand – nutzen statt besitzen“ gelten: Die meisten Autos gehören künftig einem Dienstleister und nicht mehr den Passagieren, was zu einer geringeren Zahl von Fahrzeugmodellen führen kann. Bereits jetzt ist abzusehen, dass das Thema Konnektivität im Fahrzeug eine immer größere Rolle spielen wird. Zukünftig werden die verfügbaren bzw. angebotenen Vernetzungsmöglichkeiten eine Schlüsselfunktion hinsichtlich der Diversifizierung der Fahrzeuge darstellen. Klar ist aber auch, dass die Lösung für Singapur nicht die Lösung für eine Stadt wie Berlin sein kann. Jede Region wird ihren eigenen Weg finden müssen.

Nick Elsner: Die Klima- und Energieeffizienzziele der Staaten spielen als Treiber ebenfalls eine wichtige Rolle. Der CO2-Ausstoß soll deutlich sinken, wozu der Verkehrssektor einen spürbaren Beitrag leisten muss. Deutschland plant bei den Treibhausgas(THG)-Emissionen bis zum Jahr 2030 eine Verringerung um mindestens 55 Prozent im Vergleich zu 1990. Dazu soll der Verkehrssektor mit einer Senkung der THG-Emissionen um mindestens 40 Prozent beitragen. Und die EU strebt bis 2030 die Verringerung der THG-Emissionen um 40 Prozent im Vergleich zu 1990 an (mehr Details dazu finden Sie in der Infobox).

Was bedeuten diese Treiber für die Fahrzeugentwicklung?

Elsner: Neben einer möglichen sinkenden Modellvielfalt könnten zukünftig auch kürzere Erneuerungszyklen der Fahrzeugflotten notwendig sein – beispielsweise würden sie bei stark zunehmender Carsharing-Nachfrage viel intensiver genutzt als im Privatbesitz. Außerdem wird sich wie bereits erwähnt der Schwerpunkt der Automobilentwicklung weg von den Antrieben und hin zu den Vernetzungsmöglichkeiten verschieben. Mobiles Internet, Car2Car und Car2X sind hier einige Stichwörter. Und natürlich werden dann teilund vollautomatisierte Fahrzeuge für den Individual- und Shuttleverkehr die Entwicklung dominieren.

Was erwarten Sie bei den Antriebssträngen?

Mayer: Generell dürften die Antriebsstränge bei sinkender Variantenvielfalt in Zukunft größtenteils modular aufgebaut sein und beispielsweise Verbrennungsmotor und E-Maschine je nach Fahrzeugklasse optimal kombinieren, um die CO2-Flottengrenzwerte einhalten zu können. Ein Ansatz hierfür wurde durch IAV mit dem Powertrain 2025 bereits auf dem Berliner Antriebsstrangsymposium präsentiert. Der Großteil der Flotten wird elektrifiziert sein, entweder als Hybrid- oder batterieelektrische Fahrzeuge.

Welche Energieträger werden die Mobilität um 2030 beherrschen?

Elsner: Eine präzise und marktspezifische Prognose ist schwierig, wie auch das letzte Berliner Antriebsstrangsymposium gezeigt hat. Konsens war dort, dass das nächste Jahrzehnt eine Art Findungsphase sein wird. Im europäischen Pkw-Markt werden sich die Anteile der einzelnen Energieträger an den Neuzulassungen bis 2030 deutlich verändern. Neben Benzin für leichte bis mittelschwere und Diesel für schwere Hybridkonzepte spricht aktuell viel dafür, dass batterieelektrische Fahrzeuge einen hohen Marktanteil haben werden und damit Strom als Energieträger eine signifikant höhere Nachfrage erfährt. Wenn man Strom aus erneuerbaren Energien als Basis für mögliche Pfade hinsichtlich zukünftiger Energieträger ansetzt, ist die direkte Nutzung in batterieelektrischen Fahrzeugen aus Sicht der Energieeffizienz und des resultierenden Strombedarfes sicherlich am sinnvollsten. Hinzu kommt, dass nationale Gesetzgebungen innerhalb Europas die E-Mobilität aktuell teilweise stark fördern, einige Automobilhersteller Modelloffensiven für den Anfang der kommenden Dekade angekündigt haben sowie zunehmend in die notwendige Ladeinfrastruktur investiert wird.

Bei leichten Nutzfahrzeugen kann der Verbrennungsmotor mit dieselmotorischem Brennverfahren dagegen ein wichtiger Bestandteil bleiben. Hier gilt es, den Hybridisierungsgrad den Anforderungen bei der Nutzung in Städten und Kommunen anzupassen. Eine Ausnahme bilden allerdings die Lieferfahrzeuge der „letzten Meile“: Hier wird sich der aktuell schon bestehende Trend der kompletten Elektrifizierung als Standard etablieren. Für spezielle Nutzfahrzeugsektoren wie etwa den Lkw-Fernverkehr dürften rein batterieelektrische Konzepte auch in zehn Jahren noch nicht imstande sein, die bestehenden Mobilitätsanforderungen zu erfüllen, sodass hier E-Fuels für den Selbstzünder eine interessante Alternative zum Dieselkraftstoff darstellen. Alternativ können Brennstoffzellensysteme die Anforderungen an den Lkw-Fernverkehr ebenfalls bedienen, sofern die notwendige Wasserstoff-Infrastruktur aufgebaut wird.

Kann Wasserstoff eine wichtige Rolle als Energieträger spielen?

Mayer: Brennstoffzellenfahrzeuge mit Wasserstoff als Kraftstoff werden für Pkw dann eine Option, wenn es hinsichtlich batterieelektrischer Konzepte nicht gelingt, die Reichweite im Kundenbetrieb auf 400 bis 500 Kilometer zu steigern sowie ein flächendekkendes Schnellladenetz zu realisieren. Zusätzlich sind hohe Investitionen in eine Wasserstoff- Infrastruktur erforderlich, die jedoch unter der Annahme einer hohen Flottendurchdringung kostengünstiger sein können als die für eine rein batterieelektrische (Lade-)Infrastruktur. Obwohl die Wasserstoff-Infrastruktur im Rahmen des H2-MOBILITY-Programms bis auf 400 Tankstellen im Jahr 2023 ausgebaut werden soll, gibt es hier allerdings aktuell keine so großen Bemühungen wie etwa bei der Ladeinfrastruktur für batterieelektrische Fahrzeuge.

Weiterhin wird ein volkswirtschaftlich sinnvolles Speicherkonzept benötigt, das in der Lage ist, die durch den weiter steigenden Anteil der erneuerbaren Energien an der Stromerzeugung zeitweise entstehenden hohen Stromüberschüsse zu speichern und damit sektorübergreifend nutzbar zu machen. Hier bietet sich die Wasserstoffherstellung durch Elektrolyse unter bedarfsgerechter Nutzung regenerativ erzeugten Überschussstromes an, was zusätzlich zur Entlastung der Stromnetze führt.

Sind gasbetriebene Fahrzeuge 2030 noch eine interessante Option?

Elsner: CNG-betriebene Fahrzeuge haben im Vergleich zu einem Benziner bekanntermaßen einen CO2-Vorteil von bis zu 25 Prozent, was sie hinsichtlich des CO2-Ausstoßes in der Nutzungsphase klimafreundlicher macht. Damit können sie einen Beitrag zur Erreichung zukünftiger Flottengrenzwerte leisten. Zudem steht das große deutsche Erdgasnetz bereits als Verteil- und Speicherinfrastruktur zur Verfügung. Im Gegensatz zum Erdgas fossiler Herkunft stammt dieser Kraftstoff zukünftig aber aus anderen Quellen: Biogas- oder Power-to- Gas-Anlagen. Im Vergleich zu Biomethan hat synthetisch produziertes Methan auf Basis erneuerbaren Stromes das deutlich höhere Potenzial, zukünftig einen signifikanten Beitrag zu einer nachhaltigen Mobilität zu leisten

Trendscouting und Innovationsmanagement bei IAV

Seit Mitte 2017 gibt es bei IAV die Querschnittsfunktion „Trendscouting und Innovationsmanagement“. Dabei stehen längerfristige Entwicklungen im Mittelpunkt, die im Zeitraum 2030 bis 2050 zum Tragen kommen. Mithilfe von Umfeldanalysen und zugehörigen Einflussfaktoren wie bekannten Megatrends (zum Beispiel Urbanisierung), dem künftigen Mobilitätsverhalten, der Ressourcentragfähigkeit oder künftigen Klimagesetzen entwickeln die IAV-Experten verschiedene Szenarien. Sie zeigen, wie die Zukunft aussehen könnte und mit welchen Trends und Technologien sich IAV schon heute beschäftigen sollte. Einige der zentralen Fragen sind in diesem Zusammenhang: Wie entwickelt sich das automobile Umfeld in Zukunft? Welche Antriebsstränge und Energieträger werden dann dominieren? Und was muss heute bereits entwickelt werden, um für die Zukunft vorbereitet zu sein?

Energie und Klima: Ziele und Prognosen für 2030 bis 2040

Prognosen zur Entwicklung des Energiebedarfs: Durch eine höhere Energieeffizienz soll der Primärenergiebedarf in der Europäischen Union im Jahr 2030 um elf Prozent im Vergleich zu 2016 zurückgehen, 2040 um 18 Prozent. Weltweit soll er aber bis 2030 um 16 Prozent im Vergleich zu 2016 steigen, bis 2040 sogar um 28 Prozent. Ursachen sind vor allem der Bevölkerungszuwachs sowie die dynamische Entwicklung neuer Märkte in China, Indien, Afrika, Südostasien und im Mittleren Osten. Je nach den künftigen regulatorischen Rahmenbedingungen dürfte der Anteil erneuerbarer Energien am globalen Endenergieverbrauch im Jahr 2040 zwischen 13 und 28 Prozent liegen. 2016 waren es nur neun Prozent.

Treibhausgasziele und Energiepolitik: Die EU strebt bis 2030 an, im Vergleich zu 1990 mindestens 40 Prozent weniger CO2-Äquivalente auszustoßen. Geplant sind weiterhin ein Anteil der erneuerbaren Energien am Endenergieverbrauch von mindestens 32 Prozent (2016: 17 %) und eine Steigerung der Energieeffizienz um 32,5 Prozent, im Vergleich zu einer Entwicklung ohne weitere Effizienzanstrengungen. Deutschland plant, bis 2030 30 Prozent seiner Endenergie aus Erneuerbaren zu beziehen (2016: 14,6 %) und den Anteil erneuerbarer Energien am Bruttostromverbrauch auf 65 Prozent zu steigern (2017: 36,2 %). Bei den Treibhausgasen ist für das Jahr 2030 eine Verringerung der CO2-Äquivalente um 55 Prozent im Vergleich zu 1990 vorgesehen (Stand 2017: -27,7 %), wobei die Emissionen des Verkehrssektors um mindestens 40 Prozent und die Emissionen im Energiesektor um mindestens 61 Prozent zurückgehen sollen.

CO2-Gesetzgebung für den Verkehrssektor: Bei Pkw und leichten Nutzfahrzeugen strebt die EU bis 2030 eine Verringerung der CO2-Emissionen von 30 Prozent im Vergleich zu 2020 an (Tank-to-Wheel). Basis sollen die WLTCFlottenwerte im Jahr 2020 sein. Eventuell ist eine Anrechnung LCA-basierter Credits, zum Beispiel für Well-to- Tank oder Well-to-Wheel, möglich.

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Nick Elsner
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Robert Mayer

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