„Die Diskussion auf eine neue Stufe heben”

Innovative Ansätze und veränderte Blickwinkel: Das erste Berliner Antriebsstrangsymposium setzt neue Maßstäbe – 30. November und 1. Dezember 2017 in Berlin.

Am 30. November beginnt das erste Berliner Antriebsstrangsymposium von IAV. Im Mittelpunkt der zweitägigen Veranstaltung stehen grundlegende Zukunftsfragen – unterteilt in die Schwerpunkte „Anforderungen und Rahmenbedingungen“, „Gesamtsystem Antriebsstrang“ und „Entwicklungsprozess“. Tagungsleiter Matthias Kratzsch, Bereichsleiter Powertrain Development, erklärt im automotion-Interview, warum das Symposium den Teilnehmern neue Perspektiven eröffnen wird.

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Herr Kratzsch, es gibt schon einige Veranstaltungen für Antriebsentwickler. Warum also noch ein neues Antriebsstrangsympisium?

Kratzsch: Weil es eine derartige Veranstaltung eben noch nicht gibt! Es stimmt, dass sich bereits viele Tagungen mit Antrieben beschäftigen – allerdings haben diese ihren Fokus vorrangig auf Verbrennungsmotoren, Getrieben und Elektromotoren. Aus unserer Sicht ist das sehr einschränkend gedacht: Im Zeitalter von Hybridisierung und E-Mobilität müssen wir den Antriebsstrang als Ganzes betrachten, wenn wir zu optimalen Lösungen kommen wollen. Es reicht heute nicht mehr aus, den Verbrennungsmotor und das Getriebe festzulegen und danach den Elektrifizierungsgrad des Antriebsstranges hauptsächlich über die Auslegung der E-Maschine zu optimieren.

Wie müsste man stattdessen vorgehen?

Kratzsch: Zu Beginn der Entwicklung sollten alle Kombinationsmöglichkeiten aus Verbrennungsmotor, Getriebe und E-Maschine angesehen werden. Natürlich ist das eine extrem komplexe Aufgabe, aber nur so können wir Konzepte entwickeln, die die technischen Möglichkeiten ausreizen und die zukünftigen Anforderungen sicher und optimal erfüllen. Wer sagt beispielsweise, dass die Fahrdynamik immer vom Verbrennungsmotor kommen muss? Das kann auch die E-Maschine in einem viel größeren Maße als bisher übernehmen – mit der Folge, dass wir Verbrennungsmotor und Getriebe deutlich vereinfachen können. Schon dieses Beispiel zeigt, dass wir bei künftigen Antrieben ganz neu denken müssen. Und genau dazu will IAV mit dem Berliner Antriebsstrangsymposium einen Beitrag leisten. Es geht darum, einen neuen Blickwinkel einzunehmen und über neue Ansätze zu diskutieren.

Wie ist das Berliner Antriebsstrangsymposium aufgebaut?

Kratzsch: Wir haben die Inhalte in drei Schwerpunkte unterteilt. Der erste ist den politischen und gesellschaftlichen Anforderungen gewidmet, die sich immer schneller verändern. Heute fallen Entscheidungen über neue Vorgaben in vielen Regionen der Welt oft sehr kurzfristig. Für Fahrzeughersteller leiten sich daraus oft weitreichende Entscheidungen zu neuen Technologien ab, welche manchmal noch im Konzeptstadium sind und dann in sehr kurzer Zeit zur Serienreife entwickelt werden müssen. Klarer Treiber sind hier CO2-Emissionen und die Luftschadstoffe. Darum haben wir Vertreter der Regierung und von beratenden Institutionen eingeladen, die uns einen Ausblick auf die nächsten Jahre geben sollen. Zu Beginn des Symposiums sprechen Referenten des Bundeswirtschaftsministeriums, des Umweltbundesamtes und des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung zu uns. Hinzu kommt ein Vertreter von innogy, der die Sicht der Netzbetreiber auf die E-Mobilität erklärt.

Mit welchem Thema beschäftigt sich der zweite Schwerpunkt?

Kratzsch: Hier geht es um das Gesamtsystem Antrieb. Wenn wir heute alle Auslegungskombinationen von Verbrennungsmotoren, Getrieben und E-Maschinen für ein Fahrzeug oder sogar für eine gesamte Fahrzeugflotte betrachten, haben wir die Auswahl aus 20 bis 100 Millionen verschiedener Kombinationsmöglichkeiten. Ist uns allen diese enorme Komplexität wirklich bewusst? Wichtige Fragen lauten darum: Wie können wir angesichts dieser Komplexität den geeignetsten Antriebsstrang für ein Fahrzeug finden? Wie bewerten wir die unterschiedlichen Zielgrößen, wie CO2-Emissionen, Verbrauch, Fahrleistungen, Gewicht oder Kosten? Wie reagieren wir auf die steigende Variantenvielfalt, die zu geringeren Stückzahlen pro Segment führen könnte – was gleichzeitig wiederum Auswirkungen auf die Auswahl der Antriebskomponenten hat? Übrigens haben auch die Kraftstoffe sowie deren Herstellung einen erheblichen Einfluss auf die CO2-Emissionen – sei es synthetischer Kraftstoff oder Wasserstoff. Zu all diesen Themen haben wir erstklassige Referenten, unter anderem von Volkswagen, Daimler, Bosch und der TU Berlin.

Und der dritte Schwerpunkt?

Kratzsch: Er beschäftigt sich damit, wie wir in Zukunft zu neuen Antriebssträngen kommen – also mit den Entwicklungsprozessen selbst. Das ist derzeit ein besonders spannendes Feld: Einerseits steigt die Komplexität der Antriebe und der Komponenten, sodass der Auslegungs- und Entwicklungsprozess komplexer wird. Andererseits können wir verstärkt virtuelle Entwicklungsmethoden und Simulationen einsetzen sowie auf Daten aus dem Feld zurückgreifen – was die Entwicklungszeiten wiederum verringern kann.

Welcher Effekt überwiegt? Das ist aber nur eine der aktuellen Fragen. Was uns auch umtreibt: Welchen Einfluss haben die weltweit teilweise längeren Homologisierungszeiten auf die Entwicklung? Und wie sollten die Entwicklungstätigkeiten weltweit verteilt werden? Können wir durch die Virtualisierung vielleicht völlig neue Arbeits- und Absicherungsmethoden für unsere Produkte einführen? Dazu haben wir neben BMW und Porsche auch Referenten von Faraday Future und Hewlett Packard eingeladen, die uns die Sicht eines Automotive-Newcomers bzw. IT-Unternehmens präsentieren werden. Einen weiteren aktuellen Trend behandelt der Vortrag über künstliche Intelligenz in der Antriebsstrangentwicklung.

Das sind sehr viele Informationen für die Teilnehmer. Bleibt da noch Platz für Diskussionen?

Kratzsch: Der Austausch miteinander ist uns besonders wichtig! Darum gibt es am ersten Tag sechs parallele Themencafés, in denen die Teilnehmer in kleiner Runde, moderiert von den Beiräten, intensiv diskutieren können. Ziel ist dabei nicht ein Konsens in allen Fragen – wichtig ist vielmehr, dass unterschiedliche Standpunkte sichtbar werden und alle Teilnehmer Impulse und neue Sichtweisen mit nach Hause nehmen können. Ich bin mir sicher, dass es mehr als genug Stoff für diese Diskussionen geben wird.

Was sonst zeichnet das Berliner Antriebsstrangsymposium aus?

Kratzsch: Wir erwarten zur Abendveranstaltung den [ehemaligen] sächsischen Ministerpräsidenten Stanislaw Tillich, der in seinem Bundesland die technologische Entwicklung aktiv vorantreibt und in seiner Impulsrede die Anforderungen der Politik an die künftige Mobilität thematisieren wird. Im Anschluss haben die Teilnehmer die Gelegenheit, mit ihm darüber zu diskutieren.

Hervorheben möchte ich aber auch unseren hochkarätig besetzten Beirat: Alle Mitglieder sind hohe Führungskräfte aus der Automobilindustrie, die selbst Grundsatzentscheidungen im Bereich der Antriebsstrangentwicklung treffen – das garantiert die inhaltliche Exzellenz der Veranstaltung. Und schließlich bin ich überzeugt, dass wir die Diskussionen auf eine neue Stufe heben werden. Denn wir erweitern die Familie der Antriebsstrangentwickler um neue Mitglieder, was uns allen neue Perspektiven eröffnen wird.

Herr Kratzsch, vielen Dank für das Gespräch!

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