Die Level-5-Revolution
Platooning, Punkt-zu-Punkt-Lieferverkehre und das Andocken am Bestimmungsort: Die Logistik bietet viele Aufgaben, für die sich das automatisierte Fahren bestens eignet. Darum dürfte Level 5 bei Nutzfahrzeugen deutlich schneller erreicht werden als im Pkw. Entscheidend für den angestrebten Effizienzgewinn wird dabei sein, dass man das Gesamtsystem „Logistikkette“ berücksichtigt.

Pkw und Nutzfahrzeuge sind unterwegs zum Level 5, dem vollautomatisierten Fahren. Aber es gibt einen großen Unterschied zwischen beiden Entwicklungen: Während sich der Übergang zum fahrerlosen Auto evolutionär vollziehen wird, steht im Nutzfahrzeugbereich eine Revolution vor der Tür. Level 5 wird hier nicht schrittweise und Stufe für Stufe erreicht, sondern könnte bereits in wenigen Jahren direkt realisiert werden.
Objektive Vorteile in der Logistik
Warum dieser große Unterschied? Im Gegensatz zum Pkw gibt es für Level 5 bei Nutzfahrzeugen klare Business-Cases, die die Entwicklung vorantreiben. So lässt sich zum Beispiel das Andocken an Be- und Entladestellen nicht nur gut automatisieren – es bietet auch objektive Vorteile im Vergleich zum manuellen Rangieren: Vollautomatisierte Lkw erledigen diese Aufgaben präziser und verursachen weniger Unfälle als menschliche Fahrer.
Auch der Punkt-zu-Punkt-Lieferverkehr auf der Kurzstrecke ist ein Fall für Level 5. Die Routen sind bekannt und verlaufen oft innerhalb desselben Gewerbegebietes – eine Aufgabe, die sich hervorragend automatisieren lässt. Just-in-Time-Lieferungen durch automatisierte Lkw sind darum ein weiterer Business Case, der die Level-5-Revolution vorantreiben wird. Im Projekt „eJIT – Just-in-Time-Logistiksystem auf elektromobiler Basis“ bringt IAV gleich zwei der großen Zukunftstrends zusammen: elektrische Antriebe und das hochautomatisierte Fahren. Seit 2018 pendelt ein E-Lkw zwischen dem Porsche-Werk und dem Logistikzentrum des Sportwagenbauers in Leipzig, der gerade für das automatische Andocken an Rampen ausgestattet wird und im nächsten Schritt ein Assistenzsystem für das hochautomatisierte Fahren im Gewerbegebiet bekommen soll.
Das Platooning ist ein weiterer BusinessCase für Level-5. Die vernetzten Lkw-Kolonnen auf der Autobahn versprechen einen geringeren Kraftstoffverbrauch, erfordern aber auch noch einige Anstrengungen, bevor sie Realität werden können. Technisch ist die Heterogenität der Fahrzeuge eine große Herausforderung – schließlich müssen sich Lkw ganz unterschiedlicher Hersteller problemlos verbinden lassen. Außerdem fehlen noch die gesetzlichen Grundlagen, die den Einsatz des Platoonings regeln.
Alle Tätigkeiten des Fahrers berücksichtigen
Rein technisch steht der Umsetzung von Level 5 auf Betriebshöfen oder innerhalb von Gewerbegebieten in etwa fünf Jahren nichts im Weg. Die dazu erforderlichen Verbesserungen der Sensorik und der Auswertealgorithmen lassen sich voraussichtlich in diesem Zeitrahmen erreichen. Bei der Entwicklung muss immer das Gesamtsystem „Logistikkette“ mit bedacht werden. Denn neben dem Fahren und Rangieren gibt es weitere unverzichtbare Tätigkeiten, die derzeit von Menschen ausgeführt werden. Es ist zu betrachten, ob diese Tätigkeiten mit automatisiert werden oder wie sie eingebunden werden sollen – so gilt es beispielsweise, Formulare aus Papier durch elektronische Dokumente zu ersetzen. Und die Verkehrssicherheit darf nicht leiden: Heute prüft der Fahrer vor dem Start, ob mit dem Lkw alles in Ordnung ist. Das muss in Zukunft die Technik übernehmen. Nur wenn alle Tätigkeiten des Fahrers berücksichtigt werden, kann Level 5 die Effizienz in der Logistik steigern.
Neben Europa sind andere Regionen wie die USA und China auf dem Weg zum automatisierten Fahren in der Logistik. Technisch stehen alle vor denselben Herausforderungen. Unterschiede bestehen vor allem in den gesetzlichen Rahmenbedingungen, der gesellschaftlichen Akzeptanz der neuen Technik und den spezifischen Verkehrsverhältnissen vor Ort.
Attraktive Anwendungen im Personennahverkehr
Ein weiteres wichtiges Anwendungsgebiet für Level 5 ist der öffentliche Personennahverkehr, der sich vom Individualverkehr durch bekannte Strecken, an denen bekannte Haltestellen liegen, abhebt. Ähnlich wie die Güterlogistik innerhalb von Gewerbegebieten ist das eine Aufgabe, die sich sehr gut automatisieren lässt.
Die wichtigste Aufgabe für IAV ist es dabei, die Komplexität dieser anspruchsvollen Automatisierungsaufgabe zu beherrschen – im Fahrzeug selbst, aber auch über das Fahrzeug hinaus. Gefragt ist hier – neben der Arbeit an neuen, serienreifen Algorithmen – ein erweitertes Systemverständnis, zu dem beispielsweise das Verständnis für neue Logistikkonzepte gehört. Dann kann die Level-5-Revolution beginnen.