Die neue Komplexität

Wie sieht die Motorenentwicklung der Zukunft aus? Antworten gibt es auf dem Berliner Antriebsstrangsymposium Ende November

Wie sieht der Fahrzeugantrieb der Zukunft aus? Eine einfache, pauschal gültige Antwort ist nicht möglich. Für die Entwickler kommt es darauf an, aus unterschiedlichen Anforderungen und verschiedenen technischen Optionen den jeweils passenden Lösungsweg zu finden. Ein intensivierter Dialog mit der Politik sowie innerhalb der Industrie könnte dazu beitragen.

„Das Beste, was man aus Abgas machen kann, ist Leistung.“ Hinter dem flotten Werbespruch verbarg sich eine Pioniertat der Motorenentwickler von BMW. Mit dem 2002 turbo brachten sie 1973 die erste Serienlimousine mit Abgasturboaufladung auf den Markt. 170 PS ermöglichten eine Höchstgeschwindigkeit von 211 km/h. Damit gehörte das Modell damals zu den Königen der Überholspur. Ein Verkaufserfolg wurde der 2002 turbo dennoch nicht: Er erschien ausgerechnet während der ersten großen Ölkrise, die in Deutschland zu ungekannt hohen Benzinpreisen und zu sonntäglichen Fahrverboten führte.

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Weniger ist mehr

Das richtige Timing ist für die Antriebsentwicklung entscheidend, damals wie heute. Anders als in den 1970er Jahren ist jedoch absehbar: Die Autoquartett-Logik des „Höher, weiter, schneller“ gehört endgültig der Vergangenheit an. An ihre Stelle tritt das Motto „Weniger ist mehr“. Weniger klimaschädliche CO2-Emissionen. Weniger Abgasschadstoffe. Es gilt, anspruchsvolle Grenzwerte zu erfüllen, ohne den Nutzwert des Autos oder gar den Fahrspaß zu verringern. Für die Ingenieure bedeutet das: Mehr Technik. Mehr Komplexität. Mehr Arbeit.

Ausgangspunkt für die Suche nach dem Antrieb der Zukunft sind die gesetzlichen CO2-Vorschriften. Europa setzt dabei nach wie vor die Maßstäbe, denen die automobile Welt folgt, mehr oder weniger rasch. Bislang gilt als Ziel, im Jahr 2020 höchstens 95 Gramm CO2-Ausstoß pro Kilometer zu erreichen. Der von einem Hersteller zu erreichende Wert hängt dabei vom Durchschnittsgewicht aller verkauften Fahrzeuge ab. Doch Experten rechnen damit, dass auch Premiumhersteller, die besonders viele große und schwere Autos verkaufen, auf einen Zielwert von weniger als 105 Gramm CO2 pro Kilometer kommen müssen, das entspricht bei einem Verbrennungsmotor einem Kraftstoffverbrauch von 4,5 Liter Benzin oder 4,0 Liter Diesel auf 100 Kilometer. Das Ende der Fahnenstange ist damit aber nicht erreicht. Schon Ende 2017, so VDA-Präsident Matthias Wissmann, soll ein neuer Vorschlag der EU-Kommission auf dem Tisch liegen. „Der neue Flottengrenzwert soll ab dem Jahr 2030 gelten, eventuell mit einer Zwischenstufe ab dem Jahr 2025.“ Die Marschrichtung gibt der Klimaschutzplan der Bundesregierung vor. Dieser besagt, dass die Treibhausgasemissionen aus dem gesamten Verkehrssektor bis Ende des kommenden Jahrzehnts um 40 Prozent gesenkt werden sollen. Die meisten Experten rechnen daher mit einem Flottengrenzwert zwischen 68 und 75 Gramm CO2 pro Kilometer.

Als wären die Ziele nicht anspruchsvoll genug, weist das Kaufverhalten der Kunden in die entgegengesetzte Richtung: Im Jahr 2016 war bereits jedes fünfte in Deutschland neu zugelassene Auto ein SUV oder ein Geländewagen. Dabei wuchs das SUV-Segment mit einem Plus von 25 Prozent stärker als alle anderen. Und auch die Einhaltung immer strengerer Abgasvorschriften erschwert es den Motorenentwicklern, sich ausschließlich auf die CO2-Minderung zu konzentrieren. Sukzessive werden in Europa ab Herbst 2017 sogenannte „Real-Driving-Emission“-Tests (kurz RDE) eingeführt. Dabei werden Abgasschadstoffe – zunächst Stickstoffe, Partikel und Kohlenmonoxid – mithilfe einer mobilen Messeinrichtung während der Fahrt auf öffentlichen Straßen erfasst. Nach einer Übergangszeit dürfen Neufahrzeuge ab 2020 im Realbetrieb nur noch so viele Schadstoffe ausstoßen wie auf dem Prüfstand, zuzüglich eines Faktors für Messungenauigkeit. Die Krux: Einige der Technologien, die durch die RDE-Vorschriften Einzug halten, könnten eher verbrauchserhöhend wirken.

Trotz aller Herausforderungen: Machtlos stehen die Ingenieure nicht da. Ein ganzes Technologiearsenal steht zur Verfügung, um CO2-Emissionen und Abgasschadstoffe zu senken. Verbrennungsmotoren und Getriebe können weiter verbessert werden, etwa durch variable Verdichtung, Wassereinspritzung in Hochlastbereichen oder eine prädiktive Schaltpunktauslegung, die die Topografie und Verkehrssituation auf der vorausliegenden Strecke kennt. Zudem kann der Verbrenner mit einem Elektroantrieb kooperieren. In seiner mildesten Form handelt es sich dabei um ein 48-Volt-System, das es vor allem ermöglicht, die beim Bremsen verlorene Energie weitgehend zu rekuperieren. Für große Fahrzeuge bietet sich ein Plug-in-Hybridsystem in Hochvolttechnik an, das bis zu 50 Kilometer rein elektrisches Fahren ermöglicht. Und schließlich ist da noch der rein batterieelektrische Antrieb, an dem alle Autohersteller derzeit intensiv arbeiten. Da die Emissionen, die während der Stromerzeugung entstehen, nicht dem Elektroauto zugerechnet werden, weist dies immer eine makellose Null-Gramm-Bilanz auf. Wie weit diese sich auf den Flottenwert auswirkt, hängt allein davon ab, ob sich nennenswerte Stückzahlen absetzen lassen.

Plattform für Dialog

Die Vielfalt der technischen Lösungen ist immens, die der Anforderungen ebenfalls, zumal sich jeder von Grund auf neu entwickelte Antrieb auf dem Weltmarkt bewähren muss. Ein Gleichungssystem mit so vielen Variablen ist selbst für rechenstarke Ingenieure nicht einfach zu lösen. „Wir schaffen es nur, wenn wir die gesamte Fahrzeugflotte eines Herstellers betrachten und alle Baureihen und Märkte einbeziehen“, sagt Matthias Kratzsch, Bereichsleiter Powertrain Systems Development bei IAV. In seinem Bereich wurde eine ausgefeilte Methodik entwickelt, die aus den Millionen möglicher Kombinationsmöglichkeiten die jeweils passende Variante vorschlägt. Trotzdem, so schränkt Kratzsch ein, sei maschinelle Intelligenz nur ein Teil der Lösung. Denn die Randbedingungen, mit denen eine Software rechnet, können sich in der heutigen Zeit blitzschnell ändern. Deshalb setzt Kratzsch auf den Austausch mit der Politik sowie mit anderen Ingenieuren. Das von IAV ins Leben gerufene Berliner Antriebsstrangsymposium soll dafür als Plattform dienen. „Auch wenn wir zu verschiedenen Lösungen kommen“, so Kratzsch, „stehen wir alle vor den gleichen Fragen“.

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Matthias Kratzsch, IAV-Bereichsleiter Powertrain Systems Development und Tagungsleiter Berliner Antriebsstrangsymposium

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