Die Werkzeugkiste der Robotik

Gerade für den Standort Deutschland ist die branchenübergreifend steigende Nachfrage nach Robotik-Lösungen eine große Chance. Die hiesige Industrie, die sich durch tiefes technisches Verständnis und eine ausgeprägte Fertigungstiefe auszeichnet, scheint wie gemacht für eine Hochtechnologie wie die Advanced-AI-Robotics.

Auch beim Tech Solution Provider IAV widmen sich zahlreiche Ingenieursteams der Erforschung und Entwicklung der erforderlichen Technologien. Der Ernteroboter ist nur einer von mehreren Anwendungsfällen.

Erste Gehversuche in der Robotik

Der Treppensteiger Paul ist ein Projekt der ersten Stunde im Bereich autonomer Robotik-Systeme von IAV. Vor rund acht Jahren entwickelten das Ingenieursteam mit Paul einen freundlichen Helfer für den Einkauf. Paul fährt auf zwei Rädern, findet Platz im Kofferraum und kann mitsamt der Einkaufstüten Treppen erklimmen. Seitdem steigt IAV Stufe um Stufe tiefer in das Thema Robotics ein, mit dem Ziel skalierbare und flexible Technologie-Lösungen in Hardware und Software zu entwickeln.

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Der Treppensteiger Paul gehört zu den ersten Robotik Projekten bei IAV.

Zwei wichtige Meilensteine auf diesem Weg sind die gemeinsam mit Universitäten und Industriepartnern unter der Projektleitung von Dr. Manus Thiel umgesetzten Forschungsprojekte MiRo Base und EnerGlider. Bei MiRo Base handelt es sich um eine System-Plattform für modulare, ferngesteuerte Unterwasserfahrzeuge, während der EnerGlider als innovative Höhenwindanlage eine wartungsarme und effiziente Alternative zu klassischen Windrädern darstellt. „Bis heute können wir bei den Guidance, Navigation & Control-Themen (GNC) auf die Erkenntnisse aus unserem MiRo Base-Projekt zurückgreifen, mit dem wir erfolgreiche Tauchfahrten in der Ostsee absolviert haben. Auch die Testflüge mit dem EnerGlider haben uns in dieser Hinsicht nach vorn gebracht“, sagt Dr. Thimo Oehlschlägel, Teamleiter Control Engineering Excellence Cluster bei IAV.

 

Im Bereich Bilderkennung und Umgebungswahrnehmung (Computer Vision) sorgte das Konzept „Franka“ für entscheidende Fortschritte. Dabei handelt es sich um einen Arm, der autonom Werkzeuge greifen und übergeben kann. „Um diese Aktionen durchführen zu können, muss Franka einzelne Werkzeuge erkennen, diese mittels KI voneinander unterscheiden und die eigene Position und Distanz zwischen sich und dem Werkzeug berechnen können. Anschließend greift der Arm zu und schwenkt Richtung Mensch. Die Ergebnisse aus diesem Eingangsprojekt, finden sich in weiter entwickelter Form auch in unserem aktuellen Ernteroboter wieder“, sagt Professor Dirk J. Lehmann, Fachreferent für Computer Vision und visuelle Datenanalyse bei IAV.

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Ein Roboterarm im Einsatz (Symbolbild).

Modularer Robotik-Baukasten als Plattform neuer Innovationen

Das Ziel der Entwicklungsteams im Bereich Robotik ist es, Basistechnologien und grundlegende Methoden zu entwickeln, die bestmöglich als Bausteine in künftige Projekte zu übertragen und dort zu optimieren sind. Nur so lassen sich Entwicklungen skalieren und die zahlreichen Anwendungsfelder für Robotik-Lösungen, wie etwa die Agrarwirtschaft, Wartung oder automatisierte Überwachung, agil besetzen. Deshalb arbeiten die Expert:innen auch an einem Software-Framework für die Robotik, das permanent weiterentwickelt wird. „Funktionen wie die Objekterkennung, Entfernungsauswertung und Bilderverarbeitung können wir auf Basis dieses Frameworks schnell in andere Projekte integrieren“, sagt Lehmann. Die größten Herausforderungen sehen er und sein Team in den kommenden Jahren bei den Themen Onboard-Computing, Datenfusion und KI-Online-Training. „Wer in diesen Bereichen die Grundvoraussetzungen erfüllt, ist in der Lage sich schneller den Zugang zu High-Level-Funktionen für hochautomatisierte Systeme zu erschließen, gerade auch in Bezug auf KI-gesteuerte Entscheidungsprozesse. Mit den richtigen Tools in unserem Werkzeugkasten sind wir in der Lage, innerhalb kürzester Zeit auf Kundenwünsche einzugehen.“ Dies belegt die kurze Entwicklungszeit von nur dreieinhalb Monaten für den ersten Prototyp des Ernteroboters.

 

Dass der Ansatz des modularen Robotik-Baukastens gut funktioniert, zeigt auch ein Blick auf den Imker-Roboter „TomBigBee“, der einige Parallelen zum Ernteroboter aufweist. „Gemein ist beiden Systemen, dass sie auf einem Rover automatisiert fahren. Damit lassen sich in beiden Fällen und bei zahlreichen weiteren mobilen hochautomatisierten Systemen unsere auch bereits bei Fluganwendungen erprobten State-of-the-Art Navigationsalgorithmen sowie Pfad- und Bahnplanungsalgorithmen mit geringem Portierungsaufwand einsetzen. Zudem verfügt auch unser Imkerroboter über eine Bilderkennung, um die Bienenkönigin zu lokalisieren und die Bienenkörbe auf möglichen Milbenbefall zu prüfen.“, fasst Oehlschlägel zusammen. Beste Voraussetzungen, um die Reise fortzusetzen, die vor acht Jahren offiziell begann und doch eigentlich gerade erst angefangen hat.