Dreischichtbetrieb im Berliner Himalaya

Seit zwei Jahren betreibt IAV in Berlin eine Höhenklimarolle, mit der sich Fahrten im Hochgebirge bis 5.300 Meter simulieren lassen – kostengünstig, effizient und reproduzierbar. Durch die intelligente Kopplung von Prüfstandautomatisierung und Simulation lässt sich das Fahrzeug „closed loop“ in die Simulation einbinden.

Vor allem im Hochgebirge müssen Fahrzeuge extremen Belastungen standhalten. Die Kombination aus geringem Luftdruck, hoher Motorlast und niedriger Geschwindigkeit bringt sowohl den Antrieb als auch die Kühlung an ihre Grenzen. Um Tests unter solchen Bedingungen durchzuführen, mussten die Entwickler früher weit reisen – etwa in den Himalaya oder die Anden. Neben den hohen Kosten sind hier auch die unvorhersehbaren Witterungsbedingungen und die Einflüsse der Jahreszeiten ein Problem. Viel besser planbar sindTests auf einem Prüfstand, der die extremen Umwelteinflüsse zuverlässig und reproduzierbar simulieren kann.

Genau dafür hat IAV 2017 seine einzigartige Höhenklimarolle in Berlin in Betrieb genommen. In ihr lassen sich Temperaturen von minus 30 bis 40 Grad Celsius im gesamten Druckspektrum von 1.000 bis 500 Millibar einstellen. Der Luftdruck lässt sich auf nur 500 Millibar absenken – Bedingungen wie im Hochgebirge auf 5.300 Metern bei 0 Grad Celsius. Und im Gegensatz zu bisherigen Rollenprüfständen kann man hier nicht nur vordefinierte Geschwindigkeit-Zeit-Profile, sondern auch Kurvenfahrten wie real existierende Pässe oder den Anhängerbetrieb simulieren.

Bei Bedarf übernimmt der Fahrroboter

Aufbau und Bedienung der Software lehnen sich an den realen Fahrversuch an. Die virtuellen Strecken basieren auf gemessenen GPS- oder eingelesenen Kartendaten. Variationen von Fahrzeug, Strecke, Fahrer und Verkehr sind jederzeit möglich. Ein großer Monitor vor dem Testfahrzeug zeigt dem Fahrer die Straße, sodass er dem Streckenverlauf folgen kann. Daneben besteht die Möglichkeit, die Fahrt von einem externen Cockpit in einem Operatorraum aus zu steuern.

Es geht aber auch ganz ohne Mensch hinter dem Lenkrad: Bei Bedarf übernimmt der Fahrroboter in Kombination mit einem Fahrermodell das Kommando – vor allem repetitive Zyklen kann er exakt nachfahren und so die Effizienz der Applikation steigern. Um in diesem Testfall die Rückmeldung zwischen dem Fahrzeug im Prüfstand, dem Straßenmodell und dem Fahrer auf dem ausgelagerten Cockpit zu optimieren, wird ein System installiert, welches mit Soundshakern am Cockpitsitzgestell die virtuelle Verbindung verbessert.

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Die Höhenklimarolle ist groß genug, um Fahrzeuge vom Mini- (zum Beispiel Smart) bis zum Maxiformat (zum Beispiel Transporter) zu untersuchen. „Für die Applikation können wir im Moment mit drei Linien Abgas roh messen“, berichtet Bernd Poytinger, Abteilungsleiter für Roller Chassis Dynamometer bei IAV. „Gegen Ende des vierten Quartals werden wir mit einem Partikelcounter auch die Partikelanzahl bis 23 Nanometer messen können.“ Durch die Kombination mit der Abgasvolumenstrommessung lassen sich die Emissionsergebnisse dann von Massenanteil (ppm) in Konzentration (mg/km) umrechnen.

„Die virtuelle Fahrt über Pässe ist sicher, reproduzierbar und höchst effizient, da wir durch die Laborumgebung genau diejenigen Wetterdaten vorgeben können, die unsere Kunden benötigen. Das ermöglicht eine effiziente Vor- oder Nachbereitung bzw. Substitution der klassischen Kälte und Höhenerprobung“, so Poytinger. „Immer mehr Kunden nutzen diese Vorteile: Wegen der großen Nachfrage läuft die Anlage an fünf Tagen in der Woche rund um die Uhr im Dreischichtbetrieb.“

Stars und Carmaker sind über Dyno Interface gekoppelt

Eine Besonderheit der Höhenklimarolle ist die Kopplung der Software Stars (Firma Horiba) für die Prüfstandsautomatisierung mit der Simulationsumgebung Carmaker (Firma IPG Automotive) für die Simulation der Umwelteinflüsse über die standardisierte Prüfstandsschnittstelle Dyno Interface. Durch diese synchronisierte Echtzeitkopplung von Rollenregelung, Fahrroboter und Simulationsumgebung lässt sich das Fahrzeug „closed loop“ in die Simulation einbinden. „Durch die Anbindung an Carmaker können wir unseren Kunden realistische Straßenszenarien anbieten“, erklärt Poytinger. „Dabei werden Längs-, Quer- und Vertikaldynamik sowie zufälliger Verkehr abgebildet.“

Die Fahrzeug-, Straßen- und Umweltparameter lassen sich per Mausklick selbst mitten im Versuch anpassen, etwa durch das Zu- und Abschalten eines Anhängers oder zusätzlicher Fahrzeugmasse sowie durch zusätzliche Steigungen oder geänderte Wetterdaten. „Man kann den Zyklus immer wieder durchlaufen – ein Mausklick genügt, um wieder am Fuß des Berges zu starten und den Pass erneut zu befahren“, so Poytinger. Im Himalaya oder in den Anden wäre das nicht so einfach.

Mögliche Benutzungsarten / Automatisierung

  • manuelles Fahren im Fahrzeug mit Fahrwiderstandssimulation (v-t-Testzyklen)
  • manuelles Fahren im Fahrzeug mit konstanten Lastpunkten
  • teilautomatisiertes Fahren im Fahrzeug in konstanten, menügeführten Lastpunkten
  • vollautomatisiertes Fahren von konstanten Lastpunkten mit Fahrroboter
  • vollautomatisiertes Fahren von dynamischen Lastzyklen (be-v, Md-v) mit Fahrroboter
  • vollautomatisiertes Fahren von Testzyklen (v-t) mit Fahrroboter
  • manuelles Fahren im Fahrzeug von realen Straßenprofilen
  • manuelles Fahren von realen Straßenprofilen mit Fahrroboter vom Kontrollraum aus
  • vollautomatisiertes Fahren von realen Straßenprofilen mit Fahrroboter

Technische Daten

Prüfkammer

  • Höhensimulation bis 5.300 m (500 mbar absolut)
  • Temperatursimulation von -30°C bis +40°C (Genauigkeit: +/- 1 Kelvin)
  • bei 20°C können 230 kW Leistung pro Achse gefahren werden
  • Klimabetrieb (Feuchteregelung) bis 1.800 m Höhe
  • geregelter Auf- und Abstieg: 200 m/min (entspricht ca. 17 % Steigung bei 70 km/h)
  • Fahrzeughöhe: 2,95 m
  • Fahrzeuglänge: 6 m

Rollenprüfstand

  • 4-Rad-Rolle VULCAN 4WD mit 2 x 230 kW
  • Schwungmassensimulation von 450 kg bis 4.770 kg
  • Achsabstand von 1.800 mm bis 4.500 mm
  • integriertes Automatisierungskonzept aus VETS ONE, STARS for Vehicle und CARMAKER
  • Fahrroboter
  • 3-mal unverdünnt messende Analyselinien (NOx, NO, CO, CO2, O2, THC & CH4)
  • Abgasvolumenstrommessgerät
  • Pegasor (PM/PN)
  • MSSplus – Micro Soot Sensor (PM)

Nebenräume

  • trockene Zone für den Fahrzeugtransfer
  • 2 Klimaboxen von -30°C bis +40°C
  • Parksystem für 9 Fahrzeuge (23°C)
  • Hebebühnen- / Prototypenraum
  • Bedienraum
  • Messtechnikraum

Der Artikel erschien in der automotion 03/2019, dem Automotive Engineering-Fachmagazin von IAV. Hier können Sie die autmotion kostenfrei bestellen.