Erfolgsfaktor Inner Sourcing

Neue Prozesse und eine offene Kommunikation: Die Software-Entwicklung lernt von der Open-Source-Welt

Seit Jahren ist die Software-Entwicklung im Automobilbereich stark im Wandel begriffen. Markus Blonn leitet bei IAV das „Netzwerk Software“ und will das Unternehmen als Software-Lieferanten noch besser positionieren. Im automotion-Interview diskutiert er mit Prof. Dr. Dirk Riehle von der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg über neue Anforderungen und Prozesse sowie die Rolle von OpenSource-Software für das Automotive Engineering.

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Software spielt in der Automobilbranche eine immer wichtigere Rolle. Wie ist IAV hier aufgestellt?

Markus Blonn: Natürlich entwickeln wir weiterhin viel Software für klassische Steuergeräte. Aber seit Jahren gibt es einen Trend hin zu High-Performance-Computing im Fahrzeug. Für die neuen Domänencontroller – etwa für Fahrerassistenzsysteme, Infotainment sowie Antrieb und Fahrwerk – brauchen wir andere Kompetenzen, wie zum Beispiel bei der Software-Architektur: Heute müssen wir 40 bis 50 Funktionen auf einem einzigen Steuergerät unterbringen. Das ist eine anspruchsvolle Integrationsaufgabe und eine neue Rolle für einen Entwicklungspartner wie IAV. Manche neuen Funktionen erfordern auch Software-Lösungen aus einer Hand – wenn etwa rechenintensive Teile auf dem Backend oder in einer Cloud laufen, sodass man dafür verschiedene Module entwickeln muss. Außerdem sind durch Updates „over the air“ neue Geschäftsmodelle möglich. Wir können uns gut vorstellen, in Zukunft zum Produktlieferanten zu werden und spezielle Funktionen zum Download anzubieten. Um all das umsetzen zu können, qualifizieren wir unsere rund 1.000 Software-Entwickler ständig weiter, zum Beispiel in den Bereichen Software-Engineering, -Architektur und -Requirement-Analyse.

Wie verändern sich die Prozesse in der Software-Entwicklung?

Prof. Dr. Dirk Riehle: Sie werden viel schneller. Das sehen wir heute schon bei Unternehmen wie Amazon, Google oder Netflix: Sobald die Software-Entwicklung nicht mehr an eine spezielle Hardware gebunden ist, reduzieren sich die Entwicklungszeiten dramatisch. Teilweise werden im Minutentakt neue Funktionen aufgespielt. Von diesem „Continuous Deployment“ können auch Unternehmen wie IAV lernen, und es kann ihnen dabei helfen, langfristig wettbewerbsfähig zu bleiben.

Blonn: Hier sind wir schon auf einem guten Weg, denn das Thema ist auch für uns wichtig – zum Beispiel, um bei Sicherheitsproblemen schnell Patches ausliefern zu können. Bereits heute praktizieren wir „Continuous Integration“: Wir bauen und testen Software kontinuierlich. Continuous Deployment ist dann die logische Fortsetzung, und wir werden in Zukunft auch dafür einen serienreifen Prozess aufbauen.

Open Source-Software ist ein weiteres aktuelles Thema. Wie wichtig ist es für die Automobilindustrie?

Prof. Riehle: Viele Unternehmen unterscheiden heute sehr genau, was ihre Kernkompetenz ist und was nicht. Folglich nutzen sie vermehrt externe Software-Module – und zwar nicht ausschließlich von klassischen Lieferanten, sondern auch aus der Open-Source-Welt. Diese sind kostenlos, erfordern aber ein gewisses Engagement aufseiten des Nutzers. Er muss die Projekte zumindest genau beobachten und sollte – wenn die Komponente wichtig ist – auch aktiv dazu beitragen. Dazu müssen aber neue Kompetenzen aufgebaut werden.

Haben Sie keine Sicherheitsbedenken?

Prof. Riehle: Nein, denn einerseits ist die Qualität der Open-Source-Projekte inzwischen sehr hoch. Viele Unternehmen bezahlen ja professionelle Entwickler, um sich daran zu beteiligen. Und andererseits gilt: Je mehr Augen den offenen Quellcode begutachten, desto schneller lassen sich Fehler finden. Aus diesem Grund wird Open-Source-Software heute beispielsweise bereits in Infotainment-Stacks von Autos eingesetzt. Dabei können 80 Prozent des Codes quelloffen sein, während der OEM den Rest selbst entwickelt und die Software zum Beispiel an sein Branding anpasst.

Wie nutzt IAV Open-Source-Software?

Blonn: Wir nutzen derzeit vor allem OpenSource-Methoden für die interne SoftwareEntwicklung. Bei diesem „Inner Sourcing“ geht es darum, Software-Module bereichsübergreifend zu entwickeln und unternehmensweit zur Verfügung zu stellen. Das ist auch die Aufgabe des „Netzwerks Software“ bei IAV: Wir wollen einen kulturellen Wandel vorantreiben.

Wie sieht die neue Welt der Software-Entwicklung denn aus?

Prof. Riehle: Open Source bietet ein großes Experimentierfeld für neue Software-Entwicklungsprozesse. Dabei geht es zum Beispiel um andere Formen der Kommunikation: Offenheit ist hier besonders wichtig, und niemand darf durch überkommene Machtstrukturen ausgeschlossen werden. Davon profitieren Unternehmen beim Inner Sourcing, indem sie Silos aufbrechen – denn heute verstecken Geschäftseinheiten gerne noch ihre Quellcodes vor anderen Abteilungen, sodass vieles redundant entwickelt wird. Das ist durch die neue Form der Zusammenarbeit nicht mehr möglich. Sie macht die Software-Entwicklung effizienter und führt zu besseren Ergebnissen.

Im Projekt AMOS arbeitet IAV mit der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg zusammen. Was verbirgt sich dahinter?

Prof. Riehle: Die Abkürzung steht für „Agile Methoden und Open Source“. Unternehmen können den Studenten Aufgaben stellen, die sie in agilen Teams innerhalb eines Semesters umsetzen. Das macht die Lehre viel attraktiver, weil es um reale Aufgaben geht, die außerdem im Team angegangen werden. IAV ist wirklich ein toller Partner für uns: Das Unternehmen ist in der Software-Entwicklung sehr erfahren und stellt realistische Aufgaben.

Blonn: Für uns ist das auch eine hervorragende Möglichkeit, neue Ideen umzusetzen, für die wir selbst keine Kapazitäten haben. Bisher haben wir drei Themen platziert, unter anderem das Side Window Entertainment. Die Ergebnisse betrachten wir als eine Art Kristallisationspunkt: Auf ihrer Grundlage können wir die Ideen gegebenenfalls weiterentwickeln. Daneben ist AMOS eine sehr gute Möglichkeit für Studenten und IAV, einander früh kennenzulernen.

Vielen Dank für das Gespräch!

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