„Nicht reden. Machen“

Chief Digital Officer Stefan Schmidt über die Chancen der Digitalisierung für die Automobilentwicklung und neue Führungskonzepte

Welchen Einfluss hat die Digitalisierung auf den Arbeitsalltag, die Zusammenarbeit der Entwickler und die Suche nach neuen Geschäftsideen? Im automotion-Interview spricht Stefan Schmidt, Chief Digital Officer (CDO) von IAV und Leiter des Digital Labs in Berlin, über die digitale Transformation von IAV.

Herr Schmidt, was ist Ihre Aufgabe als Chief Digital Officer?

Schmidt: Ich bin in einer Querschnittsfunktion für die digitale Transformation von IAV verantwortlich. Das ist ein Riesenthema – denn alles, was sich digitalisieren lässt, wird in Zukunft auch digitalisiert werden. Für uns bedeutet das: Wir müssen bereichsübergreifend lernen, neu zu denken. So verändern sich durch die Digitalisierung beispielsweise die Ansprüche unserer Mitarbeiter: Sie wollen autonomer sein und mehr in Netzwerken arbeiten. Zudem werden Arbeit und Freizeit zunehmend miteinander verschmelzen. All das erfordert ein neues Führungskonzept. Statt permanenter Kontrolle werden wir unseren Mitarbeitern in Zukunft in vielen Fällen nur noch die Richtung vorgeben – den Weg zum Ziel oder sogar das Ziel selbst können sie dann eigenverantwortlich festlegen.

Wie könnten diese neuen Formen der Zusammenarbeit konkret aussehen?

Schmidt: Sie werden geprägt sein durch flache Hierarchien sowie das Arbeiten in Teams und Netzwerken. Viele dieser neuen agilen Arbeitsformen wie Hackathons, Barcamps, Brown-Bag-Sessions oder Crunchcamps haben wir bereits erfolgreich in unserem „Digital Lab“ in Berlin getestet. Mit ihnen können wir unsere umfassende Fachexpertise – beruhend auf jahrelanger Erfahrung im Automobilbereich – eng mit der heute geforderten Agilität verknüpfen. Das fördert kreatives Denken und Handeln. Ich bin mir darum sicher, dass solche Formate in Zukunft eine wichtige Rolle in unserem Arbeitsalltag spielen werden.

Was sonst haben Sie im „Digital Lab“ bereits ausprobiert?

Schmidt: Ein weiteres interessantes Format ist der „Ideen-Pitch“: Er bietet Mitarbeitern mit neuen Ideen eine Plattform, um sie vorzustellen und für die Umsetzung zu werben. Jeder kann damit direkt zu mir kommen, seine Idee im Digital Lab präsentieren und sich wie ein Start-Up um Startkapital bewerben. Ist er erfolgreich, nehmen wir das Potenzial seines Vorschlags genauer unter die Lupe: Ist die Idee marktfähig? Beherrscht IAV die erforderlichen Technologien? Und schließlich: Soll sich IAV mit der Idee näher beschäftigen? Hier zeigt sich auch das einzigartige Konzept unseres Digital Labs: Es ist kein klassischer Bereich, sondern es setzt sich neben dem Kernteam aus den einzelnen Ideengebern zusammen. Ihnen stellen wir Räume, Tools und Geld zur Verfügung, und sie müssen sich bereichsübergreifend Mitstreiter für die Umsetzung ihrer Idee suchen. Das Motto bei alldem lautet: Nicht reden. Machen!

Wie ist die Resonanz bei den IAV-Mitarbeitern?

Schmidt: Sehr positiv! Sie haben uns bereits viele neue Ideen vorgestellt. Das liegt sicher auch daran, dass wir den Mitarbeitern im Digital Lab moderne, inspirierende Räume für diese neue Form der Zusammenarbeit zur Verfügung stellen. Aber wir fordern auch etwas von ihnen: Im Digital Lab ist Eigenverantwortung gefragt. Hier gibt es keine Führungskraft, die den Fortschritt eines Projektes ständig kontrolliert. Wer hier arbeitet, muss unternehmerisch denken können – und das wird durch die Digitalisierung in Zukunft immer mehr für das gesamte Unternehmen gelten. Darum wollen wir die Idee des Digital Labs bald auch auf andere Standorte übertragen.

Apropos Tools: Was wird sich in diesem Bereich durch die Digitalisierung verändern?

Schmidt: Ein zentrales Thema ist der Produktentwicklungsprozess im digitalen Zeitalter. Durch „Virtual Engineering“ könnte der Einsatz von Prototypen bald überflüssig werden. Anstatt reale Fahrzeuge aufzubauen, könnten digitale Modelle als Grundlage für Erprobung und Absicherung dienen. Das wird unsere Arbeit stark beeinflussen: Dank digitaler Methoden weisen die Entwicklungsergebnisse früher einen höheren Reifegrad auf, sodass wir frühzeitig eine virtuelle Absicherung durchführen können. Änderungen am Konzept oder an Bauteilen können an den digitalen Modellen jederzeit angepasst werden. Durch diese neuen Strategien können wir Kundenwünsche noch besser berücksichtigen und effektiver umsetzen.

Wird IAV bei all diesen Veränderungen in Zukunft ein völlig anderes Unternehmen sein?

Schmidt: Wir müssen die Herausforderungen und Chancen der Digitalisierung, insbesondere im Hinblick auf moderne Arbeits- und Führungsmodelle, in unsere Unternehmensphilosophie übertragen. Das ist aber keine neue Entwicklung: Seit seiner Gründung 1983 hat sich IAV permanent verändert – nicht zuletzt durch digitale Technologien: Wir waren schon sehr früh führend in den Bereichen Elektronik und Mechatronik und haben diese Kompetenzen konsequent weiter ausgebaut. So kommt es, dass wir bei den aktuellen Themen in der Automobilentwicklung eine Führungsposition einnehmen. Das gilt beispielsweise für die Software-Entwicklung, die Automatisierung, die Regelungstechnik, die Vernetzung von Fahrzeugen, Big Data und künstliche Intelligenz. In gewisser Weise begleitet uns das Thema „Digitalisierung“ also schon seit vielen Jahren.

Heute kommt es darauf an, die aktuellen Entwicklungen frühzeitig aufzugreifen und im Sinne unserer Kunden optimal zu nutzen. Genau das betrachte ich als meine Aufgabe. Unser Anspruch ist es, für unsere Kunden immer der beste Partner zu sein – daher wird IAV auch in Zukunft innovative Ideen und kreative Lösungsansätze entwickeln und dabei eng mit anderen Labs, Startups und Forschungseinrichtungen zusammenarbeiten. Und darauf freue ich mich!

Herr Schmidt, vielen Dank für das Gespräch!

Deep Learning und KI in der Motorenentwicklung – IAV und DFKI eröffnen gemeinsames Forschungslabor in Kaiserslautern

Das Deutsche Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz (DFKI), das weltweit größte gemeinnützige Forschungszentrum für KI, und IAV, einer der erfolgreichsten Entwicklungspartner der Automobilindustrie, eröffnen das gemeinsame „Forschungslabor Lernen aus Prüfdaten“ (FLaP).

In der neuen Testumgebung im DFKI in Kaiserslautern werden spezielle Analysemethoden der Künstlichen Intelligenz für den Einsatz in Prüfverfahren in der Automobilentwicklung erforscht und entwickelt. Zum Einsatz kommen zukunftsweisende Technologien des Maschinellen Lernens, etwa Deep Learning sowie Zeitreihenanalyse.

Das Anwendungspotential intelligenter Datenanalysemethoden für die Überwachung und Optimierung von Prüfdaten, Steuergeräten und Prüfständen in der Automobilindustrie ist außerordentlich. So verfügt beispielsweise ein modernes Motor-Steuergerät über mehr als 50.000 Einstellparameter, die maßgebend sind für Leistung, Verbrauch, Verschleiß und die gesamte Performanz des Motors.

Durch Deep Learning-Technologien, genauer den Einsatz neuronaler Netze im Steuergerät, kann dieses selbstständig „lernen“ wie die Eingangsgrößen optimal einzustellen sind. Die Verwendung solcher Netze bei der Zeitreihenanalyse von Motorprüfdaten ermöglicht zudem neue Ansätze für „Predictive Health Monitoring“, so dass daraus die Voraussage von Verschleiß und Wartungsfällen verbessert werden kann. Ebensolche Verfahren sollen in dem neuen Forschungslabor erforscht und entwickelt werden.

Gleichzeitig soll im FLaP auch an neuen Visualisierungsmöglichkeiten für die vielfältigen Messdaten aus den neuronalen Netzen gearbeitet werden. So soll ein Werkzeugkasten von KI-Tools entstehen, die von Automobil-Ingenieuren intuitiv und passend eingesetzt werden können.

 

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