Sprachassistenzplattform „Made in Germany“

Während der Fahrt die Hände am Lenkrad lassen und zugleich das Navigationsgerät bedienen oder eine Nachricht versenden: Sprachassistenten machen es möglich und die Nachfrage nach Sprachunterstützung steigt. Aktuelle Marktstudien lassen erwarten, dass innerhalb der kommenden vier Jahre pro Jahr 25 Prozent mehr Geräte mit Sprachassistenzfunktionen im privaten wie kommerziellen Bereich eingesetzt werden.

Daten sicher, offen, modular und skalierbar

Ein großes Problem bezüglich Sprachassitenten: die Sicherheit der Daten. Einige OEM haben Sprachassistenzsysteme in ihre Infotainmentlösungen integriert – bei Schlüsselworterkennung sind ständig Mikrofone aktiv. Der Nutzer aber kann nicht kontrollieren, wo Dialoge verarbeitet und gespeichert werden. Auch sensible Daten aus Forschung und Entwicklung müssen geschützt werden. Die derzeitigen Marktführer arbeiten jedoch nicht nach europäischen Standards. Eine Plattform „Made in Germany“ würde die Einhaltung der Vorgaben nach der Datenschutz-Grundverordnung der Europäischen Union hingegen gewährleisten.
Genau hier setzt das Speaker-Projekt der Fraunhofer-Institute für Integrierte Schaltungen IIS und für Intelligente Analyse- und Informationssysteme IAIS sowie ihrer Partner an. IAV beteiligt sich mit zwei Anwendungsszenarien: Im B2B-Segment wird ein Sprachassistent zur Unterstützung in der Fahrzeugentwicklung aufgebaut. Als B2C-Case entwickelt IAV einen endgeräteübergreifenden, personalisierten Sprachassistenten. So trägt IAV dazu bei, Lösungen zu entwickeln, die modernste Technologien sowie Datensouveränität bieten und an Workflows, Fachtermini und Bedarfe unterschiedlicher Branchen angepasst werden können. Die innovative Sprachassistenzplattform soll Dienste, Daten und Technologien über kombinierbare Schnittstellen bereitstellen und daher modular und skalierbar sein. Die Speaker-Module werden multilingual, nachtrainierbar und nicht nur cloud-basiert lauffähig sein, sondern auch offline und on-premises (auf lokal betriebenen Servern).

«Unser wichtigster Beitrag für das Speaker-Gesamtprojekt ist, dass wir mit konkreten Anwendungsfällen die Plattform in die Automobilbranche bringen»

Maurizio Guida — IAV-Projektleiter

IAV besitzt als einziger Konsortialpartner aus dem Automotive-Bereich die erforderliche Expertise in den Bereichen Fahrzeugarchitektur und -entwicklung und kann Sprachassistenzen mit großem Funktionsumfang robust und zuverlässig integrieren. „Unser wichtigster Beitrag für das Speaker-Gesamtprojekt ist, dass wir mit konkreten Anwendungsfällen die Plattform in die Automobilbranche bringen“, erklärt IAV-Projektleiter Maurizio Guida. „Unter anderem dadurch, dass wir sowohl Datenschutzvorgaben als auch technische Anforderungen aus unserer Branche in die Entwicklung der Plattform einfließen lassen.“

B2C – Geräteübergreifende Kommunikation mit mehreren Nutzern

Neue Einsatzmöglichkeiten von Sprachassistenten können das Fahren sicherer machen. IAV zielt darauf, die Nutzerfreundlichkeit weiter zu verbessern, indem personalisierte Dialoge über mehrere Endgeräte quasi nahtlos fortgesetzt werden können. Derzeit ist ein Wechsel zum Beispiel vom Smartphone in das Fahrzeug-Infotainmentsystem nicht möglich. Zudem sind persönliche Profile nicht an die Stimme, sondern an Login-Daten gebunden.

Spracherkennung Auto

IAV entwickelt Mehrnutzerszenarien, sodass mehrere Sprecher mit dem Assistenten interagieren können. Auf der Speaker-Plattform wird es möglich sein, mehrere Anwender mittels Sprecheridentifikation zu unterscheiden und so komplexere Dialoge mit unterschiedlichen Anwesenden zu führen. Mit Access-Points – also „Mikrofon-Arrays“ mit der Schnittstelle zur Speaker-Plattform – sollen unterschiedliche Nutzer personalisiert den Assistenten verwenden können. Möglich wird dies durch die Expertise von IAV in den Bereichen Sprachdialogentwicklung, UX, HMI-Entwicklung, Fahrzeugintegration, akustische Absicherung sowie Erstellung relevanter Algorithmen.

IAV hat bereits eine smarte Spracherkennung entwickelt, die Software auf verschiedene Personen im Fahrzeug unterschiedlich reagieren lässt. Möglich wird das durch eine individuelle Rechtevergabe und Zonenerkennung, die identifiziert, ob eine Stimme vom Fahrersitz oder der Rückbank kommt. Der Usecase wurde auf der Technikmesse CES 2020 in Las Vegas präsentiert.

Mehr Effizienz bei Tests in der Fahrzeugentwicklung

Auch in der Fahrzeugentwicklung kann ein intelligenter Sprachassistent helfen, Daten zu erfassen, komplexe Testabläufe zu steuern und während der Erprobung auftretende Fehler sowie Sprachnotizen aufzunehmen. Sind bisher bei Testfahrten und deren Dokumentation zwei Personen nötig, so kann zukünftig der Fahrer die Tests alleine durchführen und dokumentieren. Dafür, dass ein Sprachassistent von den Anwendern später auch tatsächlich genutzt wird, ist die Usability maßgeblich entscheidend. Um diese möglichst hoch zu skalieren, müssen zum einen die Komponenten wie Automatic Speech Recognition (ASR), Natural Language Understanding (NLU) und Natural Language Generation (NLG) robust zusammenspielen und zum anderen die Nutzer bereits in den Entwicklungsprozess des Assistenten einbezogen werden.

IAV entwickelt für die Speaker-Plattform einen Dialog, der speziell auf dieses Anwendungsszenario zugeschnitten ist. Das Vokabular wird eigens hierfür angepasst, sodass auch Fachbegriffe, Produktnamen und Abkürzungen vom Sprachassistenten erkannt werden. Zudem bringt IAV Kenntnisse über Fahrzeugelektronik und Konnektivität sowie eine große Erfahrung in der Fahrzeuginnenraum-Akustik ein. Dieses Zusammenspiel ist essentiell, um Sprach­signale während der Fahrt so aufzunehmen, dass die Signalqualität für die maschinelle Weiterverarbeitung geeignet ist.

Bisher dominieren vor allem nichteuropäische Unternehmen den Markt für sprachgesteuerte Dialogassistenten – obwohl die Forschung in Deutschland in diesem Bereich bahnbrechende Ergebnisse erzielt hat. Das Speaker-Projekt wird all diese auf der neuen Plattform integrieren – und helfen, ein neues, sichereres Datenzeitalter einzuleiten.

www.speaker.fraunhofer.de

Der Artikel erschien in der automotion 02/2020, dem Automotive Engineering-Fachmagazin von IAV. Hier können Sie die automotion kostenfrei bestellen.

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