The Car That Cares

Mit steigendem Durchschnittsalter der Autofahrer nimmt die Wahrscheinlichkeit krankheitsbedingter Notfälle hinter dem Steuer zu. Zugleich können viele Menschen mit Vorerkrankungen das Auto nicht oder nur eingeschränkt nutzen. IAV hat gemeinsam mit der Universität Oldenburg, dem OFFIS und der European Medical School Oldenburg-Groningen einen digitalen Assistenten entwickelt. Der Assistent beobachtet und detektiert treffsicher Veränderungen im Gesundheitsstatus des Fahrers und leitet im Notfall automatisiert Rettungsmaßnahmen ein, wenn er zum Beispiel Kurzatmigkeit oder sogar einen Herzinfarkt registriert.

Notbrems- und Spurhalteassistent, Totwinkel-Assistent oder das seit Ende März 2018 für neue Modelle in Europa obligatorische eCall-System machen das Autofahren immer sicherer. Mit jeder neuen Fahrzeuggeneration kommen weitere Features hinzu. Einen blinden Fleck bilden bis heute aber Systeme, die den Gesundheitsstatus des Fahrers kennen und kontinuierlich überwachen, um im Ernstfall mit Hilfe automatisierter Fahrfunktionen zu unterstützen.

„Existierende Assistenzsysteme wie Müdigkeits- ­oder Emergency-Assist-Programme wissen praktisch nichts über den Gesundheitszustand der fahrenden Person. Sie greifen damit in Gesundheitsnotfällen nicht oder zu spät ein“, sagt Mark Busse, Abteilungsleiter Connected Systems Integration bei IAV. Mit dem digitalen Gesundheitsassistenten „The Car That Cares“ wollen IAV und seine Entwicklungspartner das ändern.

Vereinte Kompetenz aus Cloud- Computing, Machine-Learning und Medizin

Der Gesundheitsassistent verknüpft das Fahrverhalten des Fahrers mit seinen aktuellen Gesundheitsdaten und kann so Abweichungen in der Atem- sowie der Herzfrequenz erkennen und entsprechend reagieren. Jens Schulze, Abteilungsleiter Data Analytics & Fleet Validation bei IAV, erklärt: „Bei leichter Atemnot warnt der Assistent den Fahrer über das Infotainment-System, aktiviert bei Bedarf unterstützend den Spurhalteassistenten und verringert die Geschwindigkeit. Bei Notfällen wie einem Herzinfarkt oder einem Bewusstseinsverlust kommt das Fahrzeug sicher am Straßenrand zum Halten und setzt einen eCall ab.“ Der Fahrer hat jederzeit die Möglichkeit, die eingeleiteten Maßnahmen zu stoppen. Einen ersten Prototypen des Systems hat IAV bereits in einem handelsüblichen Fahrzeug mit Erfolg umgesetzt.

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Im Notfall kommt das Auto sicher zum Stehen. Bisher registriert der Gesundheitsassistent Kurzatmigkeit oder einen möglichen Herzinfarkt. Die KI kann aber auch auf weitere Symptome trainiert werden.

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Im Notfall setzt das Fahrzeug selbstständig einen Notruf ab. Dadurch können individuelle Rettungsmaßnahmen bei Bedarf umgehend eingeleitet werden.

Entwickelt hat IAV „The Car That Cares“ gemeinsam mit der Universität Oldenburg, dem OFFIS und der European Medical School Oldenburg, die bei der Sensorik, der Erkennung von medizinischen Notfällen und der Bewertung von Medizinprodukten unterstützen. Der prototypische Assistent besteht aus mehreren in die Fahrzeugarchitektur integrierten Komponenten: einem Brustgurt aus dem Medizinbereich, einer KI-gestützten und im Fahrzeug installierten Software sowie einer intelligenten und gesicherten Cloud-Infrastruktur.

Die von IAV entwickelte KI analysiert in der Cloud die Gesundheits- und Fahrzeugdaten und erstellt ein digitales Fahrerprofil, das der Software im Fahrzeug als Referenz dient. Sobald die KI-gestützte Software im Fahrzeug erkennt, dass die Daten des Fahrers vom Normalzustand abweichen und sicherheitskritisch werden können, aktiviert sie graduell die Assistenz- und Automatisierungsfunktionen des Fahrzeugs. Die trainierte Software ist in der Lage, eine Vielzahl von Notsituationen zu registrieren – und entsprechend zu reagieren. „Für das Training unserer selbstlernenden Algorithmen haben wir unterschiedliche Atem- und Herzfrequenzdaten analysiert. Im Anschluss haben wir mit unseren Projektpartnern definiert, welche Bereiche als Normalzustände gelten und was als Unregelmäßigkeit oder Ausreißer interpretiert werden muss“, erklärt Schulze. Diese gemeinsam festgelegten Richtwerte werden von den Ingenieuren dem Algorithmus des Systems antrainiert.

«Der Gesundheitsassistent lässt sich sowohl in die bestehende Softwarearchitektur moderner Serienfahrzeuge einbinden, als auch in der Entwicklungsphase neuer Modelle integrieren.»

Mark Busse — Abteilungsleiter Connected Systems Integration bei IAV

Modularer Aufbau ermöglicht Einbindung weiterer Medizindaten

Grundsätzlich nutzt das System die herstellerseitig verfügbaren Assistenz- und Automatisierungsfunktionen, um selbstständig in der Spur zu bleiben, das Tempo zu drosseln oder rechts ranzufahren. Damit das System diese individuelle und proaktive Unterstützung im Ernstfall leisten kann, ist die ­Genehmigung der Hersteller zum Ansteuern der ­FAS-Schnittstellen erforderlich.

Profitieren würden alle Verkehrsteilnehmer von einem digitalen Schutzengel, der im medizinischen Notfall Unfälle verhindert. Er könnte nicht nur in Pkw, sondern auch in Nutzfahrzeugen wie Lkw und Bussen bei kritischen Veränderungen warnen und die tonnenschweren Fahrzeuge sicher zum Halten bringen. Dank des modularen Aufbaus können auch weitere Messsysteme und Sensoren integriert werden, etwa zur Bestimmung der Sauerstoffsättigung und der Zuckerwerte. Die abgesicherte Dateninfrastruktur lässt sich flexibel gestalten und an international unterschiedliche Datenschutzbestimmungen anpassen – damit der Schutzengel überall auf der Welt über den Fahrer wachen kann.

Der Artikel erschien in der automotion 01/2021, dem Automotive Engineering-Fachmagazin von IAV. Hier können Sie die automotion kostenfrei bestellen.

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