Versuchsfahrt im virtuellen Innenraum

Was zunächst aussieht wie die neueste Version des Car Driving Simulator, ist in Wahrheit die moderne Testumgebung für die Entwicklung neuer Sicherheitsfunktionen im Auto. In diesem simulierten Umfeld nutzt IAV synthetische Sensor­daten aus dem Computer – und Tools aus der Spieleentwicklung. Fotorealistische Renderings kommen statt echter Menschen und Versuchsfahrzeuge zum Einsatz.

Nachdem Fahrzeuge inzwischen ihre Umgebung fest im Blick haben, wird auch der Innenraum zunehmend mit Sensoren bestückt. Sie ermöglichen neuen Sicherheitsfunktionen wie adaptiven Rückhaltesystemen oder der Überwachung von Vitalfunktionen den Einzug ins Fahrzeug, damit etwa im Notfall ein eCall ausgelöst werden kann. Eine dieser Neuheiten, die „Child Present Detection“, dürfte in Zukunft NCAP-relevant sein: Mit der Funktion soll das Fahrzeug feststellen, ob ein Kind im Innenraum zurückgelassen wurde und nun – etwa wegen sommerlicher Hitze – in potenzieller Lebensgefahr schwebt.

So werden Kameras und Radarsensoren zu den „Augen“ im Passagierraum und liefern die Daten für die neuen Sicherheitsfunktionen. Die Algorithmen dahinter basieren auf maschinellem Lernen, was die Absicherung zur Herausforderung macht. „Wir benötigen für diesen Prozess sehr große Datenmengen, die man unmöglich ausschließlich durch reale Versuchsfahrten mit echten Menschen erzeugen kann“, sagt Maximilian Brenneis von der IAV Fahrzeugsicherheit GmbH. „Darum greifen wir auf synthetische Sensordaten zurück, die wir relativ einfach und in großer Vielfalt im Computer erzeugen. So können wir für unsere Kunden schnell und zuverlässig Sicherheitsfunktionen entwickeln und absichern.“

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Werkzeug aus der Spieleentwicklung

Als technische Grundlage für diese fotorealistischen Simulationen dient die Unreal Engine des US-Herstellers Epic Games, mit deren Hilfe normalerweise Computerspiele und Hollywoodfilme produziert werden. Die IAV-Expert:innen erzeugen mit der Unreal Engine Fahrzeuginnenräume und Personen in hoher Qualität und Detailtiefe. Variationen des Interieurs sind ebenso einfach anpassbar wie die täuschend echte Darstellung von Menschen jeder Ethnie, jedes Alters und jedes Geschlechts.

Die digitalen Insassen aus dem Computer sind zudem keine statischen Salzsäulen: Sie bewegen sich während der simulierten Fahrt (etwa beim Beschleunigen oder in einer scharfen Kurve) und verändern auch ihre Mimik – genauso wie echte Passagiere. Licht und Schatten verändern zudem permanent die Reflexionen im Innenraum und liefern den Algorithmen auf diese Weise äußerst realistische Trainingsdaten. Die synthetischen Sensorwerte haben noch eine weitere attraktive Eigenschaft: Sie sind bereits perfekt segmentiert, sodass man einzelne Pixel nicht manuell verschiedenen Körperpartien zuordnen muss, was den gesamten Prozess enorm beschleunigt.

Durchgängige Toolkette für den gesamten Entwicklungsprozess

„Die Absicherung von Funktionen im Innenraum gewinnt immer mehr an Bedeutung“, so Brenneis. „Das gilt für alle künftigen Fahrzeuge, insbesondere aber auch für autonom fahrende Taxis. Fällt die Person am Steuer weg, muss die Technik den Innenraum und die Insassen im Blick behalten.“

Dem damit einhergehenden steigenden Testbedarf begegnet IAV mit einer hybriden Absicherung: Der Großteil der Daten stammt aus dem Computer. Erst am Ende des Prozesses stehen reale Versuchsfahrten auf dem Programm. So lassen sich ohne großen Aufwand auch neue Interieurs und Derivate testen. Zudem ist der innovative Ansatz nicht auf die Absicherung beschränkt: „Die synthetischen Sensordaten eignen sich auch zur Auslegung der Funktionen“, erklärt Brenneis. Dadurch kann IAV seinen Kunden eine durchgängige Toolkette für den gesamten Entwicklungsprozess anbieten. Der virtuelle Innenraum steht jederzeit zur simulierten Versuchsfahrt bereit.