Viele Wege, eine Plattform

Beim ersten Berliner Antriebsstrangsymposium von IAV standen grundlegende Zukunftsfragen im Mittelpunkt

Um den Straßenverkehr klimaverträglicher zu gestalten, gibt es nicht die eine Schlüsseltechnologie, sondern eine Vielfalt innovativer Antriebe und Energieträger. Das von IAV initiierte Berliner Antriebsstrangsymposium brachte Ingenieure verschiedener Disziplinen zusammen.

Es ist ein Schlüsselmoment: Die Moderatoren eines Workshops lassen nach anderthalb Stunden intensiver Diskussion darüber abstimmen, wie sich die Marktanteile von Elektroantrieben und Verbrennungsmotoren im Jahr 2030 zueinander verhalten. Die Teilnehmer, überwiegend erfahrene Entwicklungsingenieure, sollen sich entlang einer ca. zehn Meter langen Linie zwischen zwei Polen aufstellen. Die Pole stehen für 100 Prozent Verbrenner oder 100 Prozent Elektro. Dort steht niemand. Aber dazwischen sind nahezu alle Plätze belegt, recht gleichmäßig, mit einem leichten Maximum in der Mitte. So vielfältig die Meinungen über die Antriebstechnik der Zukunft, so vielfältig sind die Kombinationsmöglichkeiten in einem Hybridfahrzeug. Die Komplexität steigt, das wäre wohl der gemeinsame Nenner.

Wichtigstes Ziel des Berliner Antriebsstrangsymposiums, das auf Initiative von IAV Ende 2017 zum ersten Mal stattfand, ist denn auch: durch den Dialog von Fachleuten verschiedener Disziplinen nachhaltige Lösungen für künftige Fahrzeugantriebe zu finden. „Die alleinige Optimierung von Motoren und Getrieben reicht nicht mehr aus“, erläutert Tagungsleiter Matthias Kratzsch, verantwortlich für Powertrain Systems Development bei IAV. „Wenn wir aber auf die nächste Ebene – also den gesamten Antriebsstrang – gehen, stellen sich viele neue Fragen.“ Wie kombinieren wir alle Bestandteile des Antriebsstranges richtig? Wie entwickeln sich Rahmenbedingungen und Technologien? Welche Energieträger stehen künftig zur Verfügung? Was können innovative Arbeitsformen und Methoden beitragen?

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Keynote-Speaker reden Tacheles

Die Frage nach den Zielen künftiger Antriebsentwicklung stand denn auch am Beginn der zweitägigen Veranstaltung. Thorsten Herdan, Abteilungsleiter im Bundeswirtschaftsministerium, stellte die langfristigen energiepolitischen Ziele seines Hauses vor. „Das wichtigste Ziel besteht darin, die fossilen Energieträger im Boden zu lassen.“ Es gehe aber nicht darum, der Industrie einzelne Technologien vorzugeben. „Die Diskussion um ein Verbot des Verbrennungsmotors ist wenig zielführend“, stellte Herdan klar. Deutschland müsse es aber schaffen, erneuerbare Energieträger künftig nicht nur im Stromsektor, sondern auch im Verkehr und im Wärmesektor einzusetzen.

Sollen die Ziele des Pariser Klimaschutzabkommens erreicht werden, so rechnete anschließend Martin Schmied vom Bundesumweltamt vor, bliebe Deutschland im Jahr 2050 ein Budget von 63 Millionen Tonnen Kohlendioxid-Äquivalent pro Jahr. Da aber 60 Mio. Tonnen aus landwirtschaftlichen und industriellen Prozessen vermutlich nicht zu vermeiden seien, bliebe für den Verkehr nichts übrig: „Langfristig muss der komplette Verkehr auf null“, sagte Schmied. „Ein Verbot von Verbrennungsmotoren halten wir aber auch für nicht sinnvoll.“ Vielmehr gelte es, die Rahmenbedingungen so zu gestalten, dass möglichst schnell möglichst viele Elektrofahrzeuge auf die Straßen kommen – bis zu zwölf Millionen sollen es im Jahr 2030 bereits sein. Das senke in den Städten zudem die Lärmbelastung deutlich und sei daher ein Beitrag zu höherer Lebensqualität.

Was eine vollständige Umstellung von 44 Millionen Pkw auf batterieelektrische Antriebe bedeuten würde, stellte Stephan Stollenwerk vom Energieversorger Innogy vor. Um jederzeit ausreichend Reserveleistung zur Verfügung zu haben, müsste bei 44 Millionen Pkw eine Erzeugungsleistung von rund 1.200 Gigawatt aufgebaut werden – derzeit beträgt die Gesamtleistung aller Anlagen zur Stromerzeugung jedoch nur etwa 90 Gigawatt. „Ohne E-Kraftstoffe geht es aber ohnehin wegen des Langstrecken-Transports nicht“, so Stollenwerk. Welche chemischen Energieträger im Verkehr zum Einsatz kommen, sei längst nicht ausgemacht. So erprobt Innogy in der Stadt Essen eine methanolbetriebene Brennstoffzelle, die ein Ausflugsschiff antreibt.

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Tagungsleiter Matthias Kratzsch und Journalist Johannes Winterhagen bei der Vorstellung der Ergebnisse der Themencafés

Neue Antriebe und Energieträger sind unausweichlich

Dass sich die schwierige Suche nach neuen Antrieben und Energieträgern lohnt, zeigte der Vortrag des Klimawissenschaftlers Professor Dr. Anders Levermann, der am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung arbeitet. „Es geht nicht um Verhandlungspositionen, sondern um Physik“, betonte der Experte. „Wenn wir alle Kohle aus dem Boden holen würden, stiege der Meeresspiegel um 60 Meter.“ Schon in den kommenden zehn Jahren müsse der Ausstoß von Treibhausgasen sein Maximum erreichen, wenn die Paris-Ziele noch erreicht werden sollen. „Zwei Grad Temperaturanstieg sind noch zu schaffen, doch das 1,5- Grad-Ziel ist illusorisch.“ Doch auch dann wären manche Prozesse unumkehrbar. Die Arktis, so Levermann, wird 2050 so oder so im Sommer eisfrei sein.

In der sich anschließenden Podiumsdiskussion stand die Umsetzung in der Automobilindustrie im Fokus. Die derzeit in Europa diskutierten Flottengrenzwerte für das Jahr 2030, die eine Reduktion um 30 Prozent innerhalb von zehn Jahren vorsehen, seien zwar ambitioniert, aber grundsätzlich der richtige Weg. „Kurzfristig können wir vor allem über höhere Energieeffizienz etwas erreichen“, bestätigte Schmied. Allerdings warnte Levermann davor, allein auf kurzfristige Maßnahmen zu setzen. Ohne einen langfristigen Strukturwandel sei ein CO2-freier Verkehrssektor nicht zu erreichen. Ein kalkulierbarer CO2-Mindestpreis solle dafür die Grundlage bilden.

In rund 20 Fachvorträgen spielten sowohl kurzfristige Effizienzmaßnahmen wie die milde Hybridisierung über ein 48-Volt-Bordnetz als auch erst langfristig breitenwirksame Technologien wie die Brennstoffzelle eine Rolle. Schnell wurde deutlich: Den einen Weg in die Zukunft des Antriebs gibt es nicht. „Wir müssen viele Teile zu einem Puzzle zusammenfügen“, erläutert Kratzsch. „Dazu gehören auch digitale Technologien wie künstliche Intelligenz. Nur wenn wir alle Möglichkeiten nutzen, können wir es schaffen, individuelle Mobilität weitgehend klimaneutral zu gestalten.“

Ungewöhnliches Workshop-Format

Mut zu machen und Anlauf zu nehmen – dazu sollten auch die Themencafés beitragen. Das ungewöhnliche Workshop-Format am Ende des ersten Tages lud dazu ein, die eigene Haltung durch intensiven Austausch mit anderen Experten zu überdenken oder zumindest zu schärfen. Zum Beispiel, was den Energieträger der Zukunft betrifft. Die Moderatoren forderten die Teilnehmer dazu auf, sich in die Zukunft zu versetzen und aus der Perspektive des Jahres 2050 auf die Entwicklung der letzten Jahrzehnte zurückzublicken. Durch den spielerischen Ansatz wurde klar: Die Frage nach dem Energieträger ist nicht zu trennen von der Art, wie Fahrzeuge genutzt werden. So äußerte der Vertreter eines großen Herstellers: „2034 bin ich zum letzten Mal selbst Auto gefahren.“ Mindestens so überraschend: Wasserstoff wurde für viele Teilnehmer nach dem Jahr 2030 zu einem festen Bestandteil im Mix der Energieträger.

„Mit dem Berliner Antriebsstrangsymposium haben wir eine Plattform geschaffen, um diese Vielfalt abzubilden“, resümiert Kratzsch. „Zudem ist es gelungen, einen Dialog über die Aufgaben der Ingenieure zu führen.“ Dieser Dialog soll künftig intensiviert werden: Für 2019 ist die zweite Auflage des Symposiums geplant.

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