Vorausschauender Truck senkt Emissionen

Um 60 Prozent sollen die CO2-Emissionen im Transportsektor bis 2050 im Vergleich zu 1990 zurückgehen – so will es die EU. Im Projekt „optiTruck“ haben elf Unternehmen, Forschungseinrichtungen und Anwender zehn rein softwarebasierte Einzelmaßnahmen untersucht, die den Kraftstoffverbrauch eines Diesel-Lkw ohne Hardware-Änderungen an Motor oder Fahrzeug spürbar senken könnten. IAV hat die Basisstruktur für die Software, die Gesamtsystemsimulation und drei Optimierungsalgorithmen für den Antriebsstrang entwickelt. Nun haben die Projektpartner ihre Ergebnisse präsentiert.

Wieviel CO2 ein Lkw während seiner Fahrt vom Absender zum Empfänger ausstößt, hängt von vielen Einflussfaktoren ab. Der Truck-Typ und sein Luftwiderstand spielen hier ebenso eine Rolle wie das Ladungs- und das Eigengewicht. Hinzu kommen äußere Faktoren, die sich jederzeit ändern können, zum Beispiel die wechselnden Verkehrsverhältnisse oder das Wetter – denn wenn sich die Windrichtung dreht, verändert sich auch der CO2-Ausstoß auf den unterschiedlichen Routen vom Start zum Ziel.

Im EU-Projekt „optiTruck“ (optimal fuel consumption with predictive powertrain control and calibration for intelligent Truck) sollte eine Cloud-Lösung dazu beitragen, aus all diesen Einflüssen die Route mit den geringsten CO2-Emissionen zu ermitteln. Die Grundidee: Vor Beginn der Fahrt übermittelt der Logistiker wichtige Eckdaten wie Start und Ziel, Ladung sowie den Liefertermin an die Datenwolke, die aufgrund dieser Informationen eine Aus- wahl von alternativen Routen mit möglichst geringem CO2-Ausstoß ermittelt. Auch die wechselnden Verkehrs- und Wetterverhältnisse werden berücksichtigt: Die Software in der Cloud prüft permanent, ob sich der Lkw noch auf der optimalen Strecke befindet, und sendet gegebenenfalls per Mobilfunk ein Update an den Fahrer. Lkw und Cloud stehen also ständig miteinander in Kontakt.

Vorausschauender Truck senkt Emissionen

Prädiktives Management von Komponenten

Aber auch die direkt vor dem Lkw liegende Strecke bietet Optimierungspotenzial. Befindet sich der Lkw beispielsweise kurz vor einem längeren Gefälle, kann man das Einschalten von Nebenaggregaten wie der Druckluftversorgung verzögern, weil beim Bergabfahren potentielle Energie zur Verfügung steht. Ein ähnlicher Ansatz verringert den Energieverbrauch der Abgasnachbehandlungsanlage: Kurz vor einer Steigung ist klar, dass die Regeneration des Dieselpartikelfilters verzögert werden kann – die Abgastemperatur wird beim Bergauffahren ohnehin steigen. Und auch beim Kühlsystem ist es möglich, durch das prädiktive Management Energie zu sparen, indem die jeweils zu erwartenden Betriebspunkte berücksichtigt werden. Voraussetzung dafür ist, dass die vorausliegende Strecke und die Verkehrsverhältnisse genau und in Echtzeit erkannt werden.

IAV war im Projekt optiTruck für die Basisstruktur der Steuergeräte-Software verantwortlich, eine Rapid Prototyping Unit und die Software-Entwicklungsumgebung für die Partner. Auch die Plattform zur Gesamtsystemsimulation und drei weitere Innovationselemente waren Aufgabe von IAV: der modellbasierte Koordinator der Abgasnachbehandlung sowie jeweils für Kühlsystem und Aggregate das prädiktive Management.

Praxistest mit zwei Lkw

Ziel des optiTruck-Projektes war es, den Kraftstoffverbrauch eines 40-Tonners um 20 Prozent zu verringern und gleich- zeitig die Emissionsgrenzwerte von Euro VI einzuhalten. Im Juli 2019 war der große Moment gekommen: Zwei Lkw starteten in der Türkei, um ihre Ladung in Italien abzuliefern und danach wieder zurückzufahren – einer mit konventioneller Technik und einer mit den optiTruck-Innovationen an Bord. Nach Auswertung der rund 5.000 Kilometer langen Tour zeigte sich: Der optiTruck-Lkw verbrauchte an manchen Streckenabschnitten bis zu 13 Prozent weniger Diesel. „Das Ziel von 20 Prozent ist nur unter optimalen Bedingungen zu erreichen, wenn alle Einzelmaßnahmen perfekt zusammenwirken“, sagt Oliver Dingel, IAV Projektleiter für optiTruck. „Unter den gegebenen Umständen war nicht mehr möglich, aber auf einer anderen Strecke hätten wir sicher auch noch bessere Ergebnisse gesehen.“ Hinzu kam: Die Technik hat sich seit dem Projektstart 2015 weiterentwickelt. Der Vergleichs-Lkw aus dem Jahr 2019 hat einen Teil der Optimierungspotenziale bereits ausgeschöpft.

Darum sind die IAV-Experten mit den Ergebnissen auch zufrieden. „Wir haben mit verschiedenen Partnern aus ganz Europa ein komplexes System aufgebaut und zum Laufen gebracht“, sagt Dr. Dennis Jünemann, Entwicklungsingenieur Performance Engineering bei IAV. „Alleine das war schon ein großer Erfolg.“ Aber auch wichtige technische Probleme wurden gelöst – beispielsweise der Datentransfer von der Cloud ins Fahrzeug und von dort zu den einzelnen Steuergeräten. Wegen der begrenzten Kapazität der Datenbusse im Lkw mussten die Datenmenge reduziert und die Daten in Pakete zerlegt werden. Zudem ist während des Projektes eine Simulationsumgebung entstanden, mit der sich neue Funktionen entwickeln und danach fast ohne Anpassungen auf ein Fahrzeug-Steuergerät übertragen lassen.

Vergleich des Energiebedarfs des Lüfters mit und ohne Kühlsystemoptimierer
Vergleich des Energiebedarfs des Lüfters mit und ohne Kühlsystemoptimierer

Gute Basis für Folgeprojekte

„optiTruck war ein erfolgreiches Projekt, bei dem wir viel gelernt haben und das eine gute Basis für Folgeprojekte geschaffen hat“, resümiert Dingel. „Wir haben identifiziert, wo man ansetzen und weitere Potenziale erschließen kann.“ So waren zum Beispiel die Cloud-Daten noch nicht optimal – genaueres Kartenmaterial und bessere Algorithmen für die Routenplanung dürften den CO2-Ausstoß eines Trucks weiter reduzieren. IAV wird die ausgewiesenen Potentiale auf Basis der Erfahrungen zusammen mit Kunden weiterentwickeln.

optiTruck

Im EU-Projekt optiTruck arbeiteten neben IAV der Lkw-Hersteller Ford Otosan, das ERTICO-ITS Europe (Koordinator), die Universitäten Aalborg, Leeds und Okan, das Hellenic Institute of Transport, die Forschungsinstitute ICOOR und ISMB sowie die Anwenderunternehmen Eliadis Transport und Codognotto Italia.

optiTruck wurde gefördert aus dem EU-Forschungsrahmenprogramm „Horizon 2020“, startete im September 2016 und lief bis August 2019. Von den Gesamtkosten in Höhe von 5,3 Millionen Euro übernahm die EU 4,5 Millionen Euro.
www.optitruck.eu


Der Artikel erschien in der automotion 01/2020, dem Automotive Engineering-Fachmagazin von IAV. Hier können Sie die automotion kostenfrei bestellen.

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