Wasserstoffwirtschaft Deutschland – Die Politik ist noch nicht am Ziel

In der Energiewirtschaft gibt es Anzeichen von Euphorie: Vor dem Hintergrund der Pariser Klimaziele arbeiten Unternehmen am industriellen Umbau und überraschen mit Innovationen – das Ziel der CO₂-Neutralität im Jahr 2050 immer fest im Blick. Ursache für die gute Stimmung ist Wasserstoff, vielseitig einsetzbar als Energieträger und -speicher und zentrales Element in den von Europäischer Kommission und deutscher Bundesregierung forcierten Plänen für eine Energiewende.

Der Umbau zu einer Wasserstoff-Wirtschaft bietet Deutschland eine große industriepolitische Chance mit Perspektive auf unzählige Arbeitsplätze und extrem großes Potenzial für Branchen wie der Stahl- und Chemieindustrie ­sowie dem Maschinen- und Anlagebau, ohne dessen Technologien im Bereich H₂ und Power-to-X-Produkte diese Mammutaufgabe nicht umsetzbar wäre.

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«Doch damit Wasserstoff seinen Siegeszug tatsächlich antreten kann, müssen Weichen neu gestellt werden. Denn solange fossile Energieträger günstiger sind als „grüne Moleküle“, kann aus erneuerbaren Energien hergestellter Wasserstoff kaum wettbewerbsfähig sein.»

Peter Müller-Baum — Geschäftsführer AG Power-to-X for Applications, Verband Deutscher Maschinen- und Anlagenbau (VDMA)

Die Bundesregierung wendet im Rahmen ihrer Nationalen Wasserstoffstrategie (NWS) hohe Mittel auf – insgesamt 7 Milliarden Euro für die Förderung von H₂-Technologien –, um das Thema nach vorne zu bringen. Allerdings bleibt die NWS mit ihrer Vorgabe von 5 Gigawatt avisierter Elektrolyseleistung bis 2030 hinter den Möglichkeiten der Anlagebauer zurück.

Die eigentliche Achillesferse der NWS ist jedoch ihr Mangel an effektiven Maßnahmen, um einen notwendigen Nachfragemarkt für Wasserstoffanwendungen in Deutschland anzureizen. Ohne marktorientierte Impulse läuft die Politik Gefahr, dass die finanzielle Unterstützung wirkungslos verpufft. Geeignete Hebel für eine künstliche Verteuerung fossiler Produkte wären eine signifikante CO₂-Bepreisung oder – solange die CO₂-Preise nicht hoch genug sind – ein gesetzlicher Zwang wie zum Beispiel Quoten für grüne Energieträger.

Die europäische Erneuerbare-Energie-Richtlinie (RED II), in der die EU die Mindestmengen an erneuerbaren Energien für den Verkehrssektor bestimmt, bietet eine große Chance, Wasserstoff oder Wasserstoff-Derivate in den Markt zu bringen. Leider sind die Bemühungen seitens der Politik zur Umsetzung der RED II bislang völlig unzureichend. Wenn wir jedoch zu einem wirtschaftlich getriebenen Markthochlauf von Wasserstoff gelangen und CO₂-Einsparungen im Verkehr erreichen wollen, dann ist eine Quote für Wasserstoff und synthetische Kraftstoffe dringend notwendig.

Nur mit einer ambitionierten Umsetzung der RED II und unter Einsatz von synthetischen Kraftstoffen ist eine Verkehrswende und das Erreichen der EU-Klimaziele möglich. Und bei der bestehenden Fahrzeugflotte mit Verbrennungsmotoren kann nur mit Einsatz sogenannter E-Fuels eine schnell wirksame CO₂-Reduzierung erreicht werden.

«Um den Klimaschutz in Deutschland zügig voranzubringen, gilt es, auch von Seiten der Politik, alle verfügbaren Instrumente zu nutzen. Die Bundesregierung muss einen Regulierungsrahmen setzen, der Anreize schafft, in die entsprechenden Technologien zu investieren.»

Peter Müller-Baum — Geschäftsführer AG Power-to-X for Applications, Verband Deutscher Maschinen- und Anlagenbau (VDMA)

Leider sind wir aber oft zu langsam und versuchen vor Entscheidungen immer erst die bestmögliche Lösung auszudiskutieren, bevor Taten folgen. Anders als hierzulande wo das Thema Wasserstoff erst seit letztem Sommer so richtig greift, hat zum Beispiel Japan frühzeitig auf eine H₂-Gesellschaft gesetzt und treibt deren Umsetzung konsequent voran.

Klar ist, in den 2030er Jahren wird die Welt technologisch anders aussehen als heute. Meine Überzeugung ist: Die Produktion von Wasserstoff wird dann in großindustriellem Maßstab weltweit eingeführt sein. Dank Wasserstoff werden wir eine intelligente Verknüpfung erleben von Sektoren wie zum Beispiel Strom, Industrie und Verkehr. Wasserstoff wird dann in ganz vielen industriellen Prozessen zum Einsatz kommen und im Begriff sein, fossile Energieträger weitgehend zu verdrängen.

Der Artikel erschien in der automotion 01/2021, dem Automotive Engineering-Fachmagazin von IAV. Hier können Sie die automotion kostenfrei bestellen.

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