Wenn das Auto plötzlich die Nebenrolle spielt

Ohne Konnektivität geht im Auto nichts mehr. Doch vernetzte Dienste stellen die Entwicklung vor neue Herausforderungen. Die Abteilung Connectivity Technologies bei IAV sichert Connected Car Services ab – mit vollautomatisiertem End-to-End-Testing und einem hochmodernen Mobilfunklabor.

Im Auto den Lieblings-Podcast zu Ende hören, vom Frühstückstisch aus per Smartphone die Standheizung starten und von vorausfahrenden Fahrzeugen vor einem Stau gewarnt werden: Konnektivität wird immer wichtiger für Komfort und Sicherheit im Auto – und damit auch immer relevanter für Autokäufer. Für die OEM bedeuten Connected Car Services einen Paradigmenwechsel – gerade in der Entwicklung. Denn die Zeiten, in denen eine Funktion von einem einzelnen Steuergerät gelenkt wurde, sind vorbei. Bei vernetzten Services kommunizieren mehrere dezentral verteilte Komponenten innerhalb und außerhalb des Autos miteinander. Damit steigt der Grad an Komplexität – und die Zahl der Unwägbarkeiten. „Hersteller stehen hier vor der Herausforderung, eine lange und nicht komplett beeinflussbare Datenübertragungskette sicherzustellen, um eine reibungslose Kommunikation und damit Funktion zu gewährleisten“, sagt Björn Steffen von IAV. Als Fachbereichsleiter Connectivity & Analytics setzt er mit seinem Team genau hier an: Rund 70 Mitarbeiter arbeiten daran, Telematiksysteme ganzheitlich zu entwickeln und mit eigenen Werkzeugen etwa zur Automatisierung und zum Monitoring aus End-to-End-Nutzerperspektive abzusichern – was für die „Quality of Experience“ grundlegend ist.

automotion wenn das auto grafik

Das Fahrzeug in der Nebenrolle

Schließlich ist das vernetzte Fahrzeug kein isoliertes Objekt mehr, sondern Teil eines digitalen Ökosystems, in dem es mit vielen anderen Komponenten interagiert – und dabei bisweilen eher die Nebenrolle spielt. Beispiel Standheizung: Gibt der Kunde morgens auf dem Handy den Befehl, sie im Auto anzuschalten, braucht es hierfür mindestens Smartphone, App, Backend, diverse Server sowie die Verifizierung, dass der richtige Kunde das richtige Auto steuert, er einen aktiven Vertrag hat, die Funktion nicht mit lokalen Gesetzen bricht und sicher ist. „90 Prozent dieser Abläufe geschehen außerhalb des Fahrzeugs und sind permanenter Veränderung unterworfen“, so Steffen. Auch sicherheitsrelevante Funktionen wie die Stauerkennung, bei der intelligente Fahrzeuge einander im Idealfall markenübergreifend über spontan auftretende Staus informieren, stehen und fallen mit einem: der Garantie, dass die nötigen Informationen jederzeit, überall und unter allen Bedingungen ausgetauscht werden können. Doch die schöne neue vernetzte Welt ist fragil, Fehlerquellen lauern überall – vom inkompatiblen Update einer App bis hin zu Problemen im Mobilfunknetz. Ein Werkstattbesuch hilft hierbei selten, da die Ursache nicht zwangsläufig im Fahrzeug zu finden ist. „Wenn aber die Heizung nicht angeht und der Nutzer Eis von der Windschutzscheibe kratzen muss, ist er frustriert über das Auto, das nicht die Leistung bringt, die er haben will. Auch wenn sich Ursachen dafür womöglich in Bereichen bewegen, mit denen der Hersteller eigentlich nichts mehr zu tun hat“, sagt Steffen. Für Autohersteller und auch unabhängige Serviceanbieter ist es daher so bedeutend wie anspruchsvoll, ihre Services im gesamten Systemverbund zu entwickeln – über das eigentliche Fahrzeug hinaus.

«Wir werden meist gerufen, wenn es darum geht, Neuland zu betreten, oder wenn Kunden mit extremer Komplexität konfrontiert sind.»

Björn Steffen — Fachbereichsleiter Connectivity & Analytics bei IAV

Objektive Messung von Servicequalität

Um Verfügbarkeit und Funktionsweise abzusichern, messen bei IAV daher vollautomatisierte End-to-End-Testsysteme aus Perspektive des Nutzers in großer Fahrzeugvarianz die Servicequalität und Robustheit der Connected Car Services. „Der Einsatz modernster Labortechnik ermöglicht es uns, virtuelle Fahrten und Kommunikationen in praktisch jedem Land und Mobilfunknetz der Welt zu simulieren, auch unter Bedingungen des neusten Mobilfunkstandards 5G“, so Steffen. Denn mit einem 5G-Labor und dem geplanten Aufbau eines eigenen 5G-Campusnetzes am Standort Gifhorn sind die Grundlagen geschaffen, die Qualität eines vernetzten Services bei allen denkbaren Verbindungsqualitäten zu ermitteln und dadurch das Gesamtsystem zu optimieren. So klärt das Team etwa für Kunden, wie schnell ihre Onlinedienste im Auto sind, also wie lange der Nutzer beispielsweise warten muss, bis im Auto sein Podcast startet. Aus Monitoring und Analyse ergeben sich Auffälligkeiten – und damit die Stellschrauben, um das Nutzererlebnis zu verbessern. „Wir werden meist gerufen, wenn es darum geht, Neuland zu betreten, oder wenn Kunden mit extremer Komplexität konfrontiert sind. Wir nehmen uns gezielt der Parameter Varianz und Komplexität an, die mit jeder Handy- und App-Generation, jedem Update, jedem neuen Fahrzeugmodell steigen“, sagt Steffen. Diese Parameter müssen die Hersteller beherrschbar machen bei ihrem Spagat zwischen der klassischen produkt- und hardware-getriebenen Autoindustrie und dem vernetzten Mobilitätsuniversum der Zukunft. Steffen: „Wir haben hier bei IAV beide Welten im Fokus. Diese Brücke hilft uns sehr – und damit auch unseren Kunden.“

Der Artikel erschien in der automotion 02/2020, dem Automotive Engineering-Fachmagazin von IAV. Hier können Sie die automotion kostenfrei bestellen.

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