„Wir bauen unsere IT-Kompetenz weiter aus“
Jean Wagner-Douglas, Bereichsleiter Vehicle Dynamics bei IAV, über die digitale Mobilität der Zukunft
Vernetzung und Digitalisierung sind zwei zentrale Trends der Automobilentwicklung. Auf der Consumer Electronics Show (CES) in Las Vegas zeigte IAV an konkreten Use Cases, was die Zukunft bringen wird – von der kontextbasierten Beleuchtung des Innenraums bis hin zum ferngesteuerten Fahrzeug. Jean Wagner-Douglas, Bereichsleiter Vehicle Dynamics bei IAV, spricht im automotion-Interview über die Vision der digitalen Mobilität und über die neuen Dienste, die in wenigen Jahren Einzug in die Serie halten werden.
Herr Wagner-Douglas, der IAV-Messeauftritt auf der CES stand unter der Motto „A Journey towards Digital Mobility“. Was haben Sie in Las Vegas zu diesem Thema gezeigt?
Wagner-Douglas: Grundsätzlich geht es um die immer stärkere Vernetzung der Fahrzeuge mit der digitalen Welt und die einmaligen Chancen, die sich daraus für uns und unsere Partner ergeben. Künftig werden Autos permanent mit dem Internet verbunden, also „Always On“ sein. Mobile Geräte wie Smartphones oder Wearables werden mit dem Fahrzeug kommunizieren, das seinerseits Daten mit der Cloud austauscht und so völlig neue Services ermöglicht – das ist übrigens auch eine wichtige Voraussetzung für das autonome Fahren. Für uns bedeutet diese Entwicklung: Wir bauen unsere IT-Kompetenz weiter aus und arbeiten noch enger mit Partnern wie Microsoft und Hewlett-Packard zusammen.
Einige Ergebnisse aus dieser Zusammenarbeit konnten die CES-Besucher an unserem Stand sehen. Dort zeigten wir unser Cloud Car, einen Seat LEON Cupra, den wir mit zwei zusätzlichen Steuergeräten und einem Security Gateway ausgestattet haben. Er ist über Bluetooth und WiFi mit externen Geräten und über LTE mit einer Cloud verbunden, die von Hewlett-Packard betrieben wird. Mit diesem Fahrzeug zeigen wir anhand einiger konkreter Use Cases, was wir uns unter digitaler Mobilität vorstellen. Mit anderen Worten: Wir laden die Besucher ein, eine Reise in die Zukunft der digitalen Mobilität zu unternehmen.
Bitte nennen Sie uns einige Beispiele!
Wir haben in das Cloud Car zum Beispiel eine „Remote Control“-Funktion integriert. Sie ermöglicht den Fernzugriff auf Lenkung und Bremse, so dass sich das Auto von außen über die Cloud mit einem Tablet-PC steuern lässt. Das könnte man dazu nutzen, um ein Fahrzeug in eine besonders enge Parklücke zu manövrieren. Die Messebesucher konnten diese Fernsteuerung live an unserem Stand auf der CES ausprobieren. Dieser Use Case soll auch dazu beitragen, die Menschen auf das autonome Fahren der Zukunft vorzubereiten.
Eine weitere interessante Anwendung ist „Remote Diagnostics“: Schon heute senden Versuchsfahrzeuge bei Flottentests aktuelle Daten über die Cloud an unsere Rechenzentren. Künftig könnten auch Serienfahrzeuge bei einer Panne direkt Kontakt mit einem ServiceCenter aufnehmen, um Probleme zu diagnostizieren und bei Bedarf Unterstützung zu organisieren oder ein Software-Update durchzuführen. In Las Vegas zeigten wir einen „HU Precheck“, der Probleme im Fahrzeug erkennt und anzeigt. Durch eine prädiktive Diagnose könnten Pannen in Zukunft viel von ihrem Schrecken verlieren: Denn das Auto würde vorab erkennen, dass ein Ausfall bevorsteht. So ließen sich unerwartete Probleme ganz vermeiden und die Unannehmlichkeiten auf ein Minimum beschränken.
Welche Rolle spielt die Vernetzung mit Consumer-Geräten?
Das ist ein wichtiges Thema, wenngleich es keineswegs trivial ist – schließlich müssen wir die CE-Geräte auf sichere Weise mit den Fahrzeug-Bussen verbinden. In Las Vegas zeigten wir, wie sich biometrische Sensoren – in diesem Fall Wearables – über Bluetooth mit dem Auto verbinden lassen, um physiologische Daten des Fahrers zu erheben und darauf zu reagieren. So kann sich das Fahrzeug optimal auf seine Insassen einstellen, indem es beispielsweise die Klimaanlage, die Sitzeinstellung oder das Infotainment an ihren aktuellen Zustand anpasst. Unser Cloud Car verfügt über eine kontextbasierte Beleuchtung, die das Licht im Innenraum variiert, um den Fahrer etwa in Stresssituationen zu beruhigen.
In diesem Zusammenhang möchte ich auch den „Secure Demonstrator“ erwähnen: Viele Use Cases der Zukunft werden personenbezogene Daten nutzen, weshalb wir größten Wert auf Vertraulichkeit und Integrität der Daten legen. In Las Vegas zeigten wir den Besuchern, wie wir durch moderne Sicherheitskonzepte wie Verschlüsselung und Firewalls ihre Daten bestmöglich schützen.
Welche weiteren Ausblicke auf die digitale Mobilität zeigten Sie auf der CES?
Das Cloud Car enthält auch einen virtuellen Co-Piloten, vergleichbar mit einem Assistenten im Rallye-Sport. Dort gibt der Beifahrer dem Piloten ständig Informationen über den optimalen Gang oder bevorstehende Kurven. Dieses Prinzip haben wir in einen digitalen Assistenten überführt, der wie ein virtueller Beifahrer Fahranfänger im Straßenverkehr unterstützt. Er weist sie zum Beispiel auf einen falschen Gang oder eine zu hohe Geschwindigkeit vor einer Kurve hin.
Außerdem hat das Cloud Car einen eigenen Twitter-Account #CloudCarCES2017, über den die Messebesucher mit ihm kommunizieren konnten. Es erkannte beispielswiese Besucher, die bereits mit ihm in Kontakt getreten sind, und begrüßte sie mit der Lichthupe.
Was verbirgt sich hinter dem Fotobuch, das Sie in Las Vegas zeigen wollen?
Wer eine Reise unternimmt, möchte natürlich möglichst viele Fotos als Erinnerung haben. In Zukunft könnte ein Fahrer längs der Strecke „Fotobuch“ auf dem Monitor des Infotainmentsystems drücken, und auf Basis der GPS-Daten ließen sich in der Cloud dann Bilder und Fakten der Highlights rund um die Reiseroute ablegen. Auf der CES hatten wir eine Teststrecke, die eine kleine „Reise“ durch die USA ermöglichte: Die Besucher fuhren an Schildern vorbei, auf denen sie Bilder von Las Vegas, Los Angeles, San Francisco, Detroit und New York sehen konnten. Per Mail sendeten wir ihnen danach ein Fotobuch mit Bildern und Hintergrundinformationen der „besuchten“ Stationen zu – so können sie sich später noch an ihre Reise in die digitale Mobilität der Zukunft erinnern.
Herr Wagner-Douglas, vielen Dank für das Gespräch.