Zeitenwende: Der Beginn der Wasserstoff-Ära

Schon lange gilt Wasserstoff als Energieträger der Zukunft. Zu seinem Durchbruch fehlte bislang regulatorischer Druck, um dem Hoffnungsträger eine konkrete Perspektive zu geben. Dies hat sich geändert, insbesondere durch die Pariser Klimaschutz­vereinbarung von 2015 und zahlreiche internationale H₂-Programme. Auch in Deutschland erlebt das vielseitige Gas eine Renaissance. Die Zeit scheint reif für eine von Wasserstoff getragene Energiewende, wie ein Überblick über das Potenzial der Ressource, ihre ­Einsatzoptionen und das politische Handeln zeigt.


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Das Potenzial von Wasserstoff und seine Bedeutung für die Defossilisierung ganzer Volkswirtschaften sind unbestritten: H₂ bewegt Fahrzeuge via Brennstoffzelle und Verbrennung, kann industriell eingesetzt werden – beispielsweise im Chemie­wesen und der Stahlproduktion – und in der Luftfahrt und Gebäudebeheizung fossile Kraftstoffe ersetzen. In Deutschland könnte Wasserstoff das Speicherproblem für erneuerbare Energien lösen und bei der Herstellung von synthetischen Kraftstoffen zu geringeren CO₂-Emissionen der Neu- und ­Bestandsflotte beitragen.

Und damit nicht genug: Wasserstoff könnte Bereiche mit Energie versorgen, die sich nicht elektrifizieren lassen, und als zentrales Bindeglied in der Sektorenkopplung dienen, der energetischen Verzahnung von Verkehr, Strom, Wärme und Industrie: Mit der Umwandlung von erneuerbaren Energien zu Wasserstoff (Power-to-Gas) kann Ökostrom mittel- und langfristig gespeichert und zwischen den Sektoren vielfältig und CO₂-mindernd genutzt werden.

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«Man wird nicht umhinkommen, den Energieträger Wasserstoff und die darauf basierenden Produkte in den nächsten Jahren deutlich schneller im Markt einzuführen, wenn man die Klimaziele schrittweise ­erreichen will.»

Stefan Siegemund — Leiter Nachhaltige Mobilität und alternative Energieträger bei der Deutschen Energie-Agentur (dena)

Nationale Wasserstoffstrategie, EU Green Deal

Die politischen Weichen dafür sind gestellt: Sowohl mit der Nationalen Wasserstoffstrategie (NWS) der Bundesregierung als auch mit der Hydrogen Strategy der EU-Kommission wurden 2020 maßgebende Entscheidungen für den Aufbau einer Wasserstoffwirtschaft getroffen. Das Kernziel: Wasserstoff soll einen wesentlichen Beitrag zur Klimaneutralität leisten. Für den Markthochlauf von H₂-Technologien in Deutschland stellt die Bundesregierung 7 Milliarden Euro bereit und weitere 2 Milliarden Euro für internationale Partnerschaften – aus Sicht der Politik wertvolle Impulse zur Bewältigung der wirtschaftlichen Folgen der Corona-Pandemie.

Hintergrund der Pläne, Wasserstoff zum zentralen Hebel für eine CO₂-neutrale Wirtschaft zu machen, ist der europäische „Green Deal“. Mit dem Konzept der EU-Kommission soll der Übergang zu einer ressourcenschonenden Ökonomie in Europa gelingen. Deutschland setzt mit der NWS den regulativen Rahmen, um Forschung und Entwicklung sowie den Export und Einsatz innovativer H₂-Technologien zu forcieren.

Forschungsförderung durch den Bund

Noch ist die H₂- und Brennstoffzellentechnologie als Alternative zu batterieelektrischen und verbrennungsmotorischen Antrieben im Verkehr nicht konkurrenzfähig aufgrund zu hoher Kosten, auch wegen der noch geringen Stückzahlen. Die Nationale Organisation Wasserstoff- und Brennstoffzellentechnologie (NOW) GmbH, die für Bundesministerien ­Förderprogramme für nachhaltige Mobilität koordiniert, unterstützt daher beispielsweise Zulieferer bei der Entwicklung von kostengünstigeren und leichteren Drucktanks für die H₂-Speicherung – die wesentlich teureren und schwereren Drucktanks waren bisher ein Hindernis für den Markthochlauf.

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«Wir fokussieren uns auf Bereiche, die wir beeinflussen können. Hier geht es um Entwicklungsförderung, aber auch um Vernetzung innerhalb der Branche, damit Hersteller gemeinsam Projekte starten können.»

Elena Hof — Nationale Organisation Wasserstoff- und Brennstoffzellentechnologie (NOW) GmbH

Ob Schiene, Omnibus oder Pkw – die Nachfrage ­nach Einsatzoptionen von H₂ im Verkehr und ­staatlicher Förderung steigt laut NOW allerorts. Der Schwerlastverkehr verspricht die größten Steigerungsraten beim Einsatz von Wasserstoff, auch weil Batterien für das Gewicht und die langen Distanzen von Nutzfahrzeugen noch nicht ausgelegt sind und ausreichende Ladepunkte fehlen.

„Das Thema ist aktuell sehr prominent, der politische Wille ist groß, dort viel zu machen“, sagt Hof und prognostiziert ab 2025 eine breitere Nutzung von Wasserstoff in Lkws.

Auch im weltgrößten Automarkt China gibt es eine komplexe Förderlandschaft für H₂-Mobilität. In ihrem neuen 15-Jahresplan strebt die Zentralregierung unter anderem die Schaffung einer Infrastruktur für Brennstoffzellenfahrzeuge an und fördert die Entwicklung von H₂-betriebenen Bussen und Lkw.

Internationale H₂-Kooperationen

Neben Förderung setzt die deutsche Politik auch auf Partnerschaften mit Ländern, die dank ihrer geographischen Lage Wasserstoff effizient produzieren und damit auch Deutschland mitversorgen können. Ende 2020 erklärten 22 EU-Staaten inklusive Deutschland und Norwegen ihre Absicht, die Entwicklung einer europäischen Wertschöpfungskette für insbesondere grünen Wasserstoff zu unterstützen. Ebenso fördert die Bundesregierung im Rahmen der NWS ein Projekt zur Weiterentwicklung von Elektrolysekomponenten in Saudi-Arabien.

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Kritik der Wirtschaft

Der Wirtschaft gehen die Pläne der Politik nicht weit genug. Um das Potenzial von Wasserstoff für Klimaschutz und Arbeitsplätze zu heben, drängen Unternehmen vor allem auf einen höheren gesetzlichen Mindestanteil erneuerbarer Energien am Endenergieverbrauch des Verkehrs und damit auf eine ambitioniertere Umsetzung der EU-Vorgaben. Beispielsweise könnte die geplante Elektrolyseleistung von 5 Gigawatt bis 2030 schon zur Mitte der Dekade erreicht werden, sagt der Verband für Maschinen- und Anlagenbau (VDMA), dessen Mitglieder zu den führenden Anbietern von Elektrolyse- und H₂-Weiterverarbeitungsanlagen zählen.

„Die Politik muss einen Nachfragemarkt für Wasserstoff generieren, damit es sich lohnt, in diese Technologie zu investieren“, sagt Peter Müller-Baum, Geschäftsführer AG Power-to-X for Applications beim VDMA. „Der eingeschlagene Weg ist richtig, aber das Tempo zu langsam.“

Außerdem muss die Belastung des grünen Stroms für die Wasserstoffherstellung durch die EEG-Umlage entfallen und gegebenenfalls müssen andere Abgaben reduziert werden, um einen attraktiven Wasserstoffpreis zu erreichen.

H₂-Vorreiter Japan

Wie es geht, zeigt das Beispiel Japan. Der Inselstaat hat schon vor Jahren den Weg zu einer Wasserstoffgesellschaft propagiert und verfolgt diesen Wandel mit Nachdruck. Der heimische Markt für Brennstoffzellenfahrzeuge soll bis 2030 massiv ausgebaut sowie um Lkw, Busse und Gabelstapler erweitert werden. Analog nimmt der Einsatz von H₂ via Brennstoffzelle in der Wärme- und Stromversorgung von Wohnungen zu. Zudem blickt das Land pragmatischer auf die Nutzung der je nach Ursprung unterschiedlichen H₂-Varianten und priorisiert dabei Versorgungssicherheit und Marktanreize.

Grüner Wasserstoff ist Trumpf

Für die Bundesregierung und die Wirtschaft könnte der Weg Japans in einigen Bereichen beispielhaft sein, argumentiert Siegemund von der Energie-Agentur dena. „Der Einsatz von blauem Wasserstoff kann Vorteile für die langfristige Marktentwicklung besitzen, wenn auch fest definierte Ziele für grünen Wasserstoff bestehen“, so Siegemund. Die NWS hat sich eindeutig dem grünen Wasserstoff verpflichtet, der aus erneuerbaren Energien CO₂-frei produziert wird, ermöglicht aber auch eine übergangsweise Nutzung von blauem Wasserstoff, der durch CO₂-Abscheidung und -Speicherung gewonnen wird und als CO₂-neutral gilt.

Klar ist: Der Grundstein für den Einstieg in eine moderne Wasserstoffwirtschaft ist mit den eindeutigen Bekenntnissen von Politik und Wirtschaft gelegt. Die H₂-Brennstoffzellentechnologie ist absolut marktfertig und die Nachfrage auch in der Breite gegeben. „Jetzt gilt es, Produktion und Verteilung von Wasserstoff hochzufahren, um Kostenvorteile zu generieren und die Technologie wettbewerbsfähig zu machen,“ sagt Hof. „Ich glaube, dass wir in zehn Jahren tatsächlich schon in einer anderen Welt leben“, prognostiziert VDMA-Vertreter Müller-Baum. „Wir sind mitten in der Entwicklung hin zu einer defossilen Welt.“

Zwei Mitarbeiter am Wasserstoff

Green Deal

Mit dem Konzept der EU-Kommission soll der Übergang zu einer ressourcenschonenden Ökonomie in Europa gelingen. Der Fahrplan für eine klimaneutrale Gestaltung unseres Kontinents bis 2050 umfasst Maßnahmen in allen Wirtschaftssektoren. Hierzu gehören die Ankurbelung der Wirtschaft durch umweltfreundliche Technologien, die Schaffung einer nachhaltigen Industrie, die Förderung umweltverträglicher Mobilität, die Eindämmung der Umweltverschmutzung und die Dekarbonisierung des Energiesektors. Der Einsatz von erneuerbarem Wasserstoff spielt hier künftig eine wichtige Rolle. Im Rahmen des Green Deals plant die EU, zwischen 2021 und 2027 mindestens 100 Milliarden Euro in den Regionen zu mobilisieren, die am stärksten mit der ökonomischen Transformation zu kämpfen haben.

Nationale Wasserstoffstrategie

Mit der Nationalen Wasserstoffstrategie setzt die Bundesregierung einen Handlungsrahmen für die künftige Erzeugung, den Transport, die Nutzung und Weiterverwendung von grünem Wasserstoff. Die NWS definiert Schritte, um zur Erreichung der Pariser Klimaschutzziele beizutragen, neue Wertschöpfungsketten für die Wirtschaft zu schaffen und die energiepolitische Zusammenarbeit auf internationaler Ebene voranzubringen. Für den Markthochlauf von H₂-Technologien in Deutschland stellt die Bundes­regierung ­­7 Milliarden Euro bereit sowie weitere 2 Milliarden Euro für internationale Partnerschaften. Bis 2030 soll eine Elektrolyseleistung von bis zu 5 Gigawatt erreicht werden, weitere 5 GW sollen bis spätestens 2040 hinzukommen.

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Kleine H₂-Farblehre

Grüner Wasserstoff
wird aus erneuerbaren Energien hergestellt und ist komplett CO₂-frei. Durch Elektrolyse wird mit regenerativ erzeugtem Strom Wasser in seine Bestandteile Wasserstoff und Sauerstoff zerlegt. Die Strategie der Bundesregierung soll grünen Wasserstoff marktfähig machen und seine industrielle Produktion, Transportfähigkeit und Nutzbarkeit ermöglichen.

Blauer Wasserstoff
ist grauer Wasserstoff, dessen CO₂ bei der Entstehung abgeschieden und zum Beispiel durch „Carbon and Capture Storage“ (CCS) gespeichert wird. Das bei der Wasserstoffproduktion erzeugte CO₂ gelangt so nicht in die Atmosphäre und die Wasserstoffproduktion kann als CO₂-neutral betrachtet werden.

Türkiser Wasserstoff
wird über die thermische Spaltung (Pyrolyse) von Methan hergestellt Anstatt CO₂ entsteht dabei fester Kohlenstoff. Voraussetzungen für die CO₂-Neutralität des Verfahrens sind die Wärmeversorgung des Hochtemperaturreaktors aus erneuerbaren Energien sowie die dauerhafte Bindung des Kohlenstoffs. Zudem hat türkiser Wasserstoff das Potenzial, CO₂-negativ zu wirken, wenn statt fossilen Methans Biomethan und erneuerbare Energien zur Wasserstoffherstellung verwendet werden.

Grauer Wasserstoff
wird aus fossilen Brennstoffen generiert. In der Regel wird bei der Herstellung Erdgas durch Dampfreformierung in Wasserstoff und CO₂ umgewandelt. Das CO₂ wird anschließend ungenutzt in die Atmosphäre abgegeben und verstärkt so den globalen Treibhauseffekt.

Quelle: Bundesministerium für Bildung und Forschung (www.bmbf.de)

Der Artikel erschien in der automotion 01/2021, dem Automotive Engineering-Fachmagazin von IAV. Hier können Sie die automotion kostenfrei bestellen.

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