Automatisierte Shuttles auf dem Weg zur Serienreife

Beim Forschungsprojekt HEAT werden fahrerlose Personentransporter von IAV am ganz normalen Straßenverkehr in Hamburg teilnehmen

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Die Zahl der Megacitys wächst weltweit seit mehreren Jahrzehnten rapide an. Bereits heute lebt die Hälfte der Weltbevölkerung in Städten, und künftig ist von einer weiteren Zunahme der Urbanisierung auszugehen. Daraus resultiert ein steigender Mobilitätsbedarf innerhalb der Stadt, der nur durch neue Transportkonzepte gedeckt werden kann. Weltweit wird daher an fahrerlosen elektrischen Shuttlebussen für den künftigen öffentlichen Personennahverkehr gearbeitet. Sie erlauben eine schnelle und komfortable Beförderung bei hoher Effizienz und Umweltfreundlichkeit. Das Projekt HEAT („Hamburg Electric Autonomous Transportation“) setzt dabei neue Maßstäbe: In der letzten Ausbauphase 2021 wird die Hamburger Hochbahn AG fahrerlose Shuttles im normalen alltäglichen Straßenverkehr einsetzen. Als Entwicklungspartner liefert IAV dafür die automatisierten Transportfahrzeuge.

Schon seit mehreren Jahren beschäftigt sich IAV mit der innovativen Technik hochautomatisierter Shuttle. „Schnell war uns dabei klar, dass wir die Infrastruktur mit in das Konzept integrieren müssen, wenn wir auf absehbare Zeit eine alltagstaugliche und wirtschaftliche Gesamtlösung darstellen wollen“, erklärt Benedikt Schonlau, Abteilungsleiter im Bereich Vehicle Integrated Functions bei IAV . Statt die gesamte Intelligenz der Automatisierung in das Fahrzeug zu packen, wird sie sinnvoll zwischen dem Shuttle und der Peripherie aufgeteilt. „Jeder übernimmt die Aufgaben, die er am besten umsetzen kann“, so Schonlau. Der Fokus liegt dabei auf dem automatisierten Fahren des Levels 5, bei dem nach gängiger Definition kein Fahrereingriff mehr erforderlich ist. Für geringere Automatisierungsniveaus, bei denen ein Fahrer für Notsituationen zwingend an Bord verbleiben muss, wäre ein rein fahrzeugseitiger Ansatz ausreichend.

Vernetzung von Fahrzeug und Infrastruktur

Die erste reale Umsetzung des von IAV mitentwickelten Shuttle-Konzepts erfolgte im Rahmen des öffentlich geförderten Projekts OTS 1.0. IAV war im Forschungsverbund für die Entwicklung des Fahrzeugs verantwortlich. Das umfasste insbesondere die Umsetzung der automatisierten Fahrfunktionen und die Vernetzungsschnittstellen mit der Peripherie. Der Projektpartner Siemens entwickelte die notwendige intelligente Infrastruktur des Systems. Sie leitet beispielsweise Ampelsignale oder Informationen über Verkehrssituationen und -teilnehmer, etwa in einem Kreuzungsbereich auf der Fahrstrecke, direkt an das Shuttle weiter. Dort werden die Daten verarbeitet und bei der Fahrzeugsteuerung berücksichtigt. Der Testbetrieb von OTS 1.0 auf dem Gelände der Siemens AG in München-Perlach lieferte dabei schon wertvolle Erkenntnisse, speziell zur Alltagstauglichkeit des Konzepts.

Öffentlicher Verkehr stellt höchste Anforderungen

„Unser Ansatz hat mit OTS 1.0 seine grundsätzliche Eignung unter Beweis gestellt. Mit HEAT machen wir nun den nächsten Schritt“, erklärt Schonlau. Das ehrgeizige Projekt ist deutschlandweit bislang einmalig: Während die Route bei OTS 1.0 noch ausschließlich über abgesperrtes Gebiet führte, wird HEAT auf öffentlichen Straßen im fließenden Verkehr bis 50 km/h umgesetzt. „Das automatisierte Steuerungssystem muss damit ausnahmslos alle Einflüsse durch andere Verkehrsteilnehmer wie Fußgänger, Rad- und Autofahrer berücksichtigen, einschließlich eines nicht immer ganz regelkonformen Verhaltens“, so Schonlau zu den besonderen Herausforderungen des Projekts.

Zulassung im Fokus

Der speziell für HEAT von IAV entwickelte elektrisch betriebene Shuttlebus baut technisch auf dem beim Projekt OTS 1.0 bewährten Layout auf. Die Fahrzeugsensorik für das automatisierte Fahren stützt sich vor allem auf Radar und Lidar ab. Zwar werden auch Kameras genutzt, da die Erkennungsraten der heutigen Kameras jedoch noch unter den Erfordernissen für das autonome Fahren liegen, wird für die optischen Merkmale wie Ampelphasen, Spur- und Begrenzungslinien oder Verkehrszeichen auf digitale Datenbasen und digitale Kommunikation zurückgegriffen.

Wie schon beim Projekt OTS 1.0 rüstet Siemens als Kooperationspartner die Fahrstrecke mit den erforderlichen aktiven und passiven Sensoren aus. „Automatisierte Level-5-Fahrzeuge sind nach aktueller Gesetzeslage noch nicht zulassungsfähig, wir erwarten, mit einer Ausnahmegenehmigung starten zu können. Unser gemeinsames Ziel ist es jedoch, das Gesamtsystem am Ende der Projektlaufzeit so weit entwickelt zu haben, dass es ordnungsgemäß und sicher zugelassen werden kann“, umreißt Schonlau die Zielsetzung des Projekts. Ein Hauptaugenmerk liegt in diesem Zusammenhang auf der zuverlässigen Informationsbereitstellung zum Fahrzeug. Laut Schonlau liegt eine große Herausforderung der Informationsbereitstellung in der Verknüpfung der analogen und digitalen Systeme. So muss für das Projekt ein digitaler Zwilling der analogen Straße hergestellt und gewartet werden. Alle Informationen, die für den digitalen Zwilling über digitale Kommunikationssysteme zuverlässig bereitgestellt werden können, müssen so nicht mehr analog vom Fahrzeug erfasst werden. Ein gutes Beispiel für den digitalen Zwilling ist die Lichtsignalanlage. Heutige Lichtsignalanlagen verfügen durchgängig über softwarebasierte, digitale Zustandsautomaten. Diese steuern analoge Lichtsignale an, deren Zustand von Fahrerassistenzsystemen in heutigen Fahrzeugen erkannt und aufwendig rekonstruiert werden muss. Ein digitaler Zwilling der Lichtsignalanlage hingegen überträgt die Topologie und aktuellen Signalzustände an die Fahrzeuge und ermöglicht somit eine deutlich höhere Zuverlässigkeit, schon im Konzept. Dieses digitale Kommunikationskonzept wird im Projekt HEAT einen wesentlichen Baustein zum Gesamtsicherheitskonzept beisteuern.

Ergänzt wird das Sicherheitskonzept durch eine zentrale Leitstelle, die von der Hamburger Hochbahn betrieben wird. Über eine Datenverbindung kann der dortige Operator in die Fahrfunktion eingreifen und den Shuttlebus sicher zum Stehen bringen. Das geschieht jedoch nur in Ausnahmesituationen, etwa falls die Reichweite der Fahrzeugsensorik ganz plötzlich durch ein Unwetter so eingeschränkt ist, dass eine Weiterfahrt nicht mehr möglich ist. Auch eine Kommunikation mit den Passagieren des Shuttles ist von der zentralen Leitstelle aus möglich, um individuell auf Notfälle reagieren zu können. Die Beispiele dafür sind vielfältig, das kann beispielsweise ein Fahrgast sein, der im Fahrzeug plötzlich ernsthafte gesundheitliche Probleme bekommt.

Leuchtturmprojekt für den ITS-Weltkongress

Das Projekt HEAT wird bis zum Jahr 2021 laufen. Der Testbetrieb ist stufenweise aufgebaut, sodass die gewonnenen Erfahrungen jeweils in den nächsten Projektschritt einfließen können. Stück für Stück werden dann die Fahrstrecke erweitert, der Automatisierungsgrad erhöht und die Höchstgeschwindigkeit auf bis zu 50 km/h gesteigert. In der ersten Phase startet der Testbetrieb auf einer relativ kurzen Route, ohne Fahrgäste und mit einem Fahrzeugführer, der bei Bedarf eingreifen kann. In der nächsten Phase werden erstmals Fahrgäste mitgenommen. In der Endausbaustufe 2021 soll dann ein komplett automatisierter Betrieb des Shuttles ohne Fahrzeugbegleiter erfolgen. Die Strecke umfasst in dieser Stufe zwölf Ampeln und acht Richtungswechsel.

Der Demonstrationsbetrieb des Projekts HEAT setzt aufgrund seiner Gesamtfunktionalität weltweit Maßstäbe. Als Leuchtturmprojekt für den automatisierten Personentransport wird es auch ein Highlight des Weltkongresses für intelligente Verkehrssysteme (ITS-Weltkongress) sein, der 2021 in Hamburg abgehalten wird. Die Großveranstaltung mit mehr als 10.000 Teilnehmern findet im jährlichen Wechsel in Amerika, Europa und Asien statt. Themenschwerpunkte des Weltkongresses 2021 sind unter anderem automatisiertes und vernetztes Fahren, intelligente Logistik, Mobilitätsdienstleistungen und intelligentes Parken – Bereiche künftiger Mobilität, die IAV durch Forschungs- und Entwicklungsleistungen wie die elektrischen Shuttles für die Projekte OTS 1.0 und HEAT schon heute maßgeblich prägt.

OTS 1.0 Optimiertes Transportsystem, basierend auf selbstfahrenden Elektrofahrzeugen

Im Projekt „Optimiertes Transportsystem, basierend auf selbstfahrenden Elektrofahrzeugen – OTS 1.0“ wird ein autonomes und elektrisches Fahrzeug für den Personennahverkehr (Straße) entwickelt, das in einem designierten Testfeld im Rahmen einer Betriebsdemonstration in München-Perlach Mitte 2018 fahren soll.

Die Zielstellung des Projektes ist es, konkrete Ansätze für zukünftige Mobilitätskonzepte (Infrastruktur und Fahrzeug) und deren Geschäftsmodelle zu betrachten. Berücksichtigt werden Aspekte der rechtlichen Umsetzungsmöglichkeiten und Fragen der gesellschaftlichen Akzeptanz.

Partner:

  • Siemens AG, Technische Universität München, Lehrstuhl für Verkehrstechnik
  • IAV GmbH
  • IKEM – Institut für Klimaschutz, Energie und Mobilität

Assoziierte Partner:

  • UTB Projektmanagement GmbH
  • Emm! Mobility solutions

Technische Daten des Personentransporters für das Projekt HEAT

Länge: 5 Meter
Breite: 2 Meter
Höhe: 2,6 Meter
Gewicht: 4 Tonnen
Antrieb: Elektromotoren und Batterien
Anzahl Fahrgäste: 10
Höchstgeschwindigkeit: 50 km/h

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