E-Autos – The Sound of Silence?

Für die Passagier:innen in E-Autos sollen Innenraumgeräusche aus Anregungen des Antriebsstranges und von Nebenaggregaten möglichst wenig störend sein. Im Gegensatz dazu müssen E-Autos ihr Umfeld aber akustisch auf sich aufmerksam machen. Neue und maßgeschneiderte Entwicklungsmethoden ermöglichen es den Akustikexpert:innen von IAV, diesen Zielkonflikt zu lösen.

Sie ist vergleichbar mit einem Orchester: die Gesamtfahrzeugakustik. Tanzt nur eine Komponente aus der Reihe, klingt das Ensemble schlecht. Das gilt für Fahrzeuge mit Verbrennungsmotor ebenso wie für E-Autos – wenngleich es natürlich auch Unterschiede gibt: Beim Diesel oder Benziner stehen für den Sound tiefe Frequenzen bis zwei Kilohertz (kHz) im Vordergrund, beim Stromer sind es hochfrequente Geräusche mit bis zu acht kHz.

Darum ändert die E-Mobilität den Klang des Orchesters und stellt Entwickler:innen vor neue Herausforderungen. Denn während sie seit Jahrzehnten mit der Akustik von konventionell betriebenen Fahrzeugen vertraut sind, ist die Geräuschkulisse von E-Autos eher Neuland. Neben dem veränderten Spektrum kommt noch eine weitere Eigenheit hinzu: Bei Fahrgeschwindigkeiten bis 50 oder 60 km/h überdecken die leisen Antriebe andere Störgeräusche nicht mehr. Erst bei höherem Tempo dominieren die Rollund Reifen- sowie Umströmungsgeräusche.

Störgeräusch kompensieren

Hier sind die IAV-Expert:innen für Noise, Vibration und Harshness (NVH) gefragt, die mit ihrer vielfältigen AkustikExpertise und der Erfahrung aus zahlreichen Serienprojekten für den optimalen Sound im E-Fahrzeug sorgen. Zum Beispiel im Antriebsstrang: Störgeräusche minimieren sie bereits an der Quelle im Luftspaltbereich der E-Maschine und den Zahnkontakten des Getriebes und erreichen so eine deutlich wahrnehmbare Verringerung der Schallabstrahlung im Bereich von drei bis fünf Dezibel. „Dafür nutzen wir bereits in der frühen Entwicklungsphase FEM- und MKS-Simulationen und arbeiten dabei eng mit den beteiligten Gewerken zusammen“, sagt Mario Schwalbe, Teamleiter NVH Simulation bei IAV. „Durch diesen Ansatz benötigen wir weniger Prototypen, sparen Kosten und verkürzen die Entwicklungszeit deutlich.“

Der leise E-Antrieb freut die Passagier:innen – macht aber auch die Bühne frei für vorlaute Nebenaggregate. Vor allem der elektrische Kältemittelverdichter des Klimatisierungssystems kann zum Problem werden. Ihn und andere Störenfriede untersuchen die Akustikexpert:innen auf einem Spezialprüfstand, wo sie einzelne Komponenten getrennt vom Rest des Systems vermessen können.

«Gemeinsam mit den Herstellern optimieren wir die Bauteile, etwa durch eine veränderte Lagerung oder Rippen an den Gehäusen. Zudem passen wir Dämm- und Dämpfungsbauteile, wie die Spritzwanddämpfung, an den nach oben verschobenen Frequenzbereich an.»

Oliver Olbrich — Teamleiter NVH Testing

Auch störenden Innenraumgeräuschen haben die IAV Expert:innen den Kampf angesagt. Sie werden meist von niedrigen Frequenzen bis 600 Hz dominiert und mit aktiver Geräuschkontrolle (ANC, Active Noise Control) unterdrückt. Dafür zeichnet ein Referenzmikrofon den störenden Schall auf, woraufhin ein Controller ein maßgeschneidertes Gegensignal erzeugt und über das In-Car-Entertainment-System verbreitet – Störgeräusch und Gegensignal löschen sich dann in der vorgegebenen Ruhezone aus. „Dafür haben wir eigene Algorithmen entwickelt, die sowohl statische als auch dynamische Geräusche unterdrücken können“, berichtet Dr. Samira Mohamady, Fachreferentin der Abteilung Communication & Audio Functions bei IAV.

Sounddesign für E-Fahrzeuge

Die IAV-Expert:innen bekämpfen aber nicht nur störende Geräusche – sie sind auch dafür zuständig, E-Fahrzeugen einen definierten Sound zu geben. Die „Acoustic Vehicle Alerting Systems“ (AVAS) sollen Warngeräusche abgeben und Verkehrsteilnehmer:innen wie Fußgänger:innen oder Radfahrende auf die Präsenz von E-Autos aufmerksam machen. Der Gesetzgeber schreibt vor, dass innerhalb von zwei Metern ein kontinuierlicher Geräuschpegel von mindestens 50 Dezibel (bis 10 km/h) bzw. 56 Dezibel (bis 20 km/h) erzeugt werden muss. Außerdem soll das Umfeld am Klang erkennen, ob das Fahrzeug gerade beschleunigt, bremst oder rückwärts fährt. „Wir erzeugen die künstlichen Fahrzeuggeräusche mit Lautsprechern oder Aktuatoren“, so ein:e Expert:in. „Sie dürfen aber nicht im Innenraum als störend empfunden werden – darum gestalten wir den Sound so, dass der/die Fahrer:in ihn als akustische Rückmeldung für Geschwindigkeit oder Beschleunigung wahrnimmt.“

Der Artikel erschien in der automotion 03/2021, dem Automotive Engineering-Fachmagazin von IAV. Hier können Sie die automotion kostenfrei bestellen.

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