„Eigenverantwortliches Arbeiten gewinnt an Bedeutung“

Von Start-ups lernen: IAV gründet das Netzwerk Digitalisierung und setzt auf neue Arbeitsmethoden

Die Digitalisierung verändert nicht nur die Technik in den Fahrzeugen – sie erfordert auch ein Umdenken bei den Entwicklungsprozessen. IAV hat darauf mit dem Netzwerk Digitalisierung reagiert. Kai-Stefan Linnenkohl, Geschäftsführer und Arbeitsdirektor von IAV, und Stefan Schmidt, Bereichsleiter Projektmanagement und Leiter des Netzwerks Digitalisierung bei IAV, erklären im automotion-Interview, mit welcher Strategie sich IAV auf die Herausforderungen der Zukunft einstellt.

Automobilindustrie und IT-Branche rücken immer enger zusammen. Wie reagiert IAV auf diese Entwicklung?

Linnenkohl: Wir haben uns bereits in der Vergangenheit darauf ausgerichtet und die nötigen Ressourcen aufgebaut – heute arbeiten bereits mehr als 1.000 unserer Mitarbeiter im Bereich Digitalisierung. Jetzt gehen wir den nächsten Schritt: Unser Netzwerk Digitalisierung ist eine neue Einheit, in der Mitarbeiter aus den verschiedensten Bereichen wie Engineering, Controlling und Personalwesen interdisziplinär, agil und kooperativ zusammenarbeiten. Es ist gewissermaßen ein hauseigenes Startup, in dem in Zukunft bis zu 90 Kollegen beschäftigt sein werden.

Schmidt: Dabei ist es uns aber wichtig, dass das Netzwerk Digitalisierung eng mit unseren Bereichen vernetzt bleibt. So können die Kollegen im Netzwerk bei ihren Projekten vom Fachwissen der Bereiche profitieren, und die Bereiche haben ihrerseits die Möglichkeit, neue Denk- und Arbeitsweisen aus der Startup-Welt in ihre Projekte zu integrieren. Das Netzwerk ist dann ein Erfolg, wenn sich beide Welten gegenseitig befruchten.

Welche Themen stehen im Netzwerk Digitalisierung im Mittelpunkt?

Schmidt: Wir verfolgen vier Hauptziele: Das Netzwerk soll neue Kompetenzen aufbauen – gesucht sind Erkenntnisse und Lösungsstrategien für die digitale Transformation von Prozessen und Wertschöpfungsketten. Daneben wollen wir neue Geschäftsmodelle entwickeln und Chancen identifizieren, die sich für IAV aus der Digitalisierung ergeben. Hinzu kommen konkrete Anwendungsfälle, die wir erproben und in unsere Linienorganisation überführen möchten. Und schließlich geht es um eine Veränderung unserer gesamten Organisation: Das Netzwerk soll in alle Bereiche ausstrahlen und sie zum Beispiel bei der Zielfindung sowie bei der Umsetzung unterstützen.

Wie weit sind Sie dabei schon gekommen?

Linnenkohl: Das Netzwerk Digitalisierung existiert seit September 2016, und als ersten Schritt haben unsere Mitarbeiter im Rahmen eines zweiwöchigen „Sprints“ 100 Geschäftsmodelle entwickelt. Sie wurden alle zwei bis drei Tage einer Jury aus Geschäftsführung und Bereichsleitern vorgestellt und mit ihnen diskutiert. Aus diesem Pool haben wir vier strategische Projekte identifiziert, die wir uns jetzt genauer ansehen. Derzeit vollzieht das Netzwerk den Schritt von der Idee zur Programmierung, und schon in diesem Jahr wollen wir mindestens ein neues Produkt vorstellen.

Sie haben bereits die Stichworte „Sprint“ und „agiles Arbeiten“ erwähnt. Wie unterscheidet sich das Arbeiten im Netzwerk vom Arbeiten in den Bereichen?

Linnenkohl: Das Arbeiten ist einerseits stärker kollaborativ und interdisziplinär. Andererseits ist es auch durch agile Arbeitsorganisation und Projektmanagement geprägt. Dieser Ansatz stammt aus der Softwareentwicklung und ist dann besonders gut geeignet, wenn man flexibel auf sich ändernde Kundenanforderungen reagieren und schnell zu verwertbaren Ergebnissen kommen muss. Voraussetzungen dafür sind eine klare Produktvision und ein stabiles Team, das einen intensiven persönlichen Informationsaustausch pflegt.

Schmidt: Das bedeutet allerdings auch eine Umstellung für unsere Mitarbeiter und Führungskräfte: Es entstehen neue Rollen wie der „Product-Owner“ und der „Scrum-Master“. Sie haben vor allem eine koordinierende Funktion – statt die Projekte im klassischen Sinn zu steuern, stellen diese Mitarbeiter den Teams vielmehr die optimalen Rahmenbedingungen für ihre Arbeit zur Verfügung. Das sind die besten Voraussetzungen für die „Sprints“: Damit sind Projektphasen von zwei bis vier Wochen Dauer gemeint, die weder vom Management noch vom Kunden unterbrochen werden und an deren Ende das Team seine Ergebnisse präsentiert.

Linnenkohl: Wir wollen aber auch andere Methoden aus der IT-Welt in unserem Netzwerk nutzen. Ich kann mir beispielsweise sehr gut vorstellen, dass unsere Mitarbeiter künftig an „Hackathons“ teilnehmen und dort mit anderen Entwicklern ihr Wissen – zumindest partiell – teilen. Außerdem sind sie die natürlichen Partner der „Digital Labs“ unserer Kunden. Hier bieten sich viele Möglichkeiten, vom fachlichen Austausch bis zur gemeinsamen Produktentwicklung.

Welche Auswirkungen hat das auf das Anforderungsprofil für neue Mitarbeiter?

Linnenkohl: In Zukunft wird eigenverantwortliches Arbeiten in Teams sicher an Bedeutung gewinnen. Nach meiner Beobachtung bringen viele Studenten diese Einstellung aber schon mit, weil sie auch an den Hochschulen gefördert wird. Zudem kommen die neuen Arbeitsmethoden den Wünschen vieler Absolventen noch in einem anderen Punkt entgegen: Durch die hohe Flexibilität bei den Arbeitszeiten und mobiles Arbeiten lassen sich Job und Privatleben viel besser miteinander in Einklang bringen – ein Aspekt, der beim Nachwuchs eine wichtige Rolle spielt.

Wie wird es mit dem Netzwerk Digitalisierung weitergehen?

Schmidt: Derzeit werden die Mitarbeiter von den Bereichen entsandt, in Zukunft werden wir dort ergänzend eigene Stellen für Entwickler und Studenten schaffen. Wir denken auch darüber nach, die neue Arbeitsweise durch ein passendes Umfeld zu unterstützen – etwa durch Räume mit „Open Space“-Charakter und Themeninseln.

Linnenkohl: Langfristig dürfte der Unterschied zwischen dem Netzwerk Digitalisierung und einigen Bereichen aber allmählich verschwinden. Es kann gut sein, dass gesamte Bereiche in einigen Jahren nach diesem neuen Modell arbeiten.

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