Hör mal, was da klappert

Ungewohnte Geräusche während der Fahrt sorgen bei den Insassen oft für Verunsicherung und Besorgnis. Funktioniert alles im Auto, so wie es soll, oder bahnt sich gerade ein ernstes Problem an?

Ein System, das normale von bedenklichen Betriebsgeräuschen unterscheiden kann, würde nicht nur bei der Vermeidung unnötiger Folgeschäden helfen, sondern auch die Anzahl verzichtbarer Werkstattbesuche reduzieren. Deshalb hat IAV gemeinsam mit der TU Braunschweig untersucht, welche Fortschritte künstliche Intelligenz (KI) bei der Detektion und Klassifikation solcher akustischen Ereignisse ermöglicht.

Geräusche können wertvolle Informationen zum allgemeinen Zustand einzelner Komponenten oder des Gesamtfahrzeugs liefern. Bereits während der Fahrzeugkonzeption und -entwicklung erfolgen diverse Optimierungen der Akustik im Betriebszustand, damit möglichst wenig störende Geräusche in den Innenraum dringen. Nach der Produktion und Auslieferung eines Fahrzeugs werden Betriebsgeräusche für den Service und die Qualitätssicherung interessant. Möglicher Verschleiß einzelner Bauteile lässt sich anhand von Geräuschen frühzeitig ermitteln, sodass die betroffenen Teile rechtzeitig ausgetauscht und potenzielle Folgeschäden vermieden werden können. Die Herausforderung besteht jedoch darin, die Geräusche zuverlässig zu erkennen und richtig zuzuordnen.

Akustische Diagnose gross

Komplexe Geräuschwelt

Die hohe Vielfalt herkömmlicher Betriebsgeräusche verwan­­delt die Suche nach anomalen Lauten in die sprichwörtliche Suche nach der Nadel im Heuhaufen. Zu den normalen Geräuschen gehören unter anderem der Motor und das Getriebe, darüber hinaus aber auch Abrollgeräusche, die je nach Untergrund unterschiedlich ausfallen können, genau wie wetterabhängige Geräusche (z. B. Regen oder Hagelschlag) oder der Lärm durch andere Verkehrsteilnehmer oder Baustellen. Hinzu kommt, dass die fahrzeugeigenen Geräusche je nach Modell, Alter und Laufleistung unterschiedlich ausfallen. „Die klassischen Methoden der Geräuschdetektion können der großen Variabilität der normalen und anomalen Akustikquellen nicht gerecht werden“, sagt Dr. Alexander Roy, Senior Technical Consultant für Advanced Diagnostics bei IAV. „Mithilfe neuronaler Netze kommen wir kritischen Geräuschen auf die Spur mit erstaunlich guten Erkennungsraten. Voraussetzung dafür ist allerdings, dass ausreichend große Datenmengen zur Verfügung stehen.“

Neuronale Netze hören genau hin

Nach einer Vorverarbeitung der für die akustische Diagnose zu verwendenden Daten werden die Signale von einer Mel-Filterbank verarbeitet und in ein für die neuronalen Netze verwertbares Format konvertiert. Während des Lernprozesses nehmen verschiedene Schichten des neuronalen Netzes unterschiedliche Informationen auf. Die Faltungsschicht erfasst vor allem Informationen über die jeweilige Frequenzstruktur des Geräuschs, während die rekurrente Schicht zeitliche Zusammenhänge erkennt.

Für diesen Analyseprozess wird ein großer Datensatz mit Fahr­aufnahmen aus unterschiedlichen Fahrzeugen in diversen Fahrsituationen und mit unterschiedlichsten umgebungs- und fahrzeugeigenen Geräuschen verwendet. Um eine messbare Aussage über die Genauigkeit und Zuverlässigkeit des Prozesses zu erhalten, werden synthetisch anomale Geräusche mit unterschiedlicher Lautstärke hinzugemischt. „Den Datensatz teilen wir in drei Abschnitte ein. Der erste Teil dient dem Training des neuronalen Netzes, der zweite Teil der Funktionskontrolle, und mit dem weiteren Material messen wir dann die Performance und die Genauigkeit, mit der das Netz anomale Geräusche detektiert“, sagt Dr. Roy.

Zur Steigerung der Präzision des Diagnosesystems bietet sich eine Anomaliedetektion parallel zum neuronalen Netz an. Die Anomaliedetektion kennt nur normale Betriebsgeräusche und filtert aus ihrer Sicht anomale Geräusche heraus, ohne diese jedoch genauer kategorisieren zu können. Schlagen nun sowohl das neuronale Netz als auch die Anomaliedetektion Alarm, ist die Wahrscheinlichkeit für einen Handlungsbedarf am Fahrzeug recht hoch.

Akustische Diagnose für viele Anwendungsfälle interessant

Wie proaktiv die KI bei möglichen anomalen Geräuschen warnt, kann an die individuellen Kundenansprüche angepasst werden. „Eine hundertprozentige Präzision lässt sich jedoch mit einer KI nie erreichen, es kann immer Fälle geben, in denen anomale Geräusche nicht erkannt werden oder prognostiziert werden, wo gar keine vorliegen“, fasst Dr. Roy die grundsätzliche Eigenschaft aller KI-Ansätze zusammen.

Eine Integration des Systems in moderne Fahrzeuge ist beispielsweise über das Infotainmentsystem möglich. Akustische Live-Daten kann die KI etwa über die Bordmikrofone aufnehmen und über Cloud-Computing-Dienste zur weiteren Analyse übermitteln. So lässt sich die automatische akustische Diagnose für eine große Zahl von Endgeräten realisieren, ohne zusätzliche Hardware zu verbauen.

Darüber hinaus ist das intelligente System auch außerhalb der Automotive-Welt interessant und könnte beispielsweise bei Windkraftanlagen, Maschinen in der Produktion oder in Flugzeugen zum Einsatz kommen. Überall dort, wo Maschinen Geräusche verursachen, kann das System einen Mehrwert bei der frühzeitigen Fehlerdetektion leisten und menschliche Ohren entlasten.