Weg mit dem Dreck

Egal, ob Abstandsmesser, Radar oder LiDAR: Je höher der Automatisierungsgrad moderner Fahrzeuge, desto wichtiger ist die dazugehörige Sensorik. Sie muss immer funktionieren, bei jedem Wetter, kann aber schnell an ihre Grenzen stoßen, wenn sich ein Schmutzfilm auf die Linse legt. IAV hat ein Simulationsverfahren entwickelt, das noch vor dem Bau der ersten Prototypen bestimmt, welche Stellen am Fahrzeug am wenigsten von Gischt, Schnee oder Dreck betroffen sein werden – und damit perfekt für die Sensorplatzierung geeignet sind.

Lautlos gleitet ein autonomes Fahrzeug über die Autobahn. Das einzige, was die Insassen hören, ist der Regen, der gegen die Scheiben prasselt. Plötzlich wird das Auto langsamer, die Blicke der Insassen lösen sich von den Tablets und wandern zum wild blinkenden Kombiinstrument, auf dem Fehlermeldungen angezeigt werden – schließlich bleibt das Fahrzeug vollständig stehen. Die Sensoren sind verschmutzt, das Auto kann seine Umgebung nicht mehr richtig erkennen und setzt einen automatischen Notruf an das nächste Abschleppunternehmen ab. Für die Insassen ist auf dem Standstreifen vorerst Endstation.

Zugegeben, das hier antizipierte Szenario ist der „Worst Case“, dennoch nicht unrealistisch. Matsch, Schnee und Gischt können die Sensoren bedecken und damit Funktionsstörungen der Fahrerassistenzsysteme verursachen.

«Wenn ich bei Graupelschauer unterwegs bin, dauert es nicht lange, bis mein Fahrzeug mir mitteilt, dass der Abstandsregeltempomat (ACC) ausgefallen ist. Das ist zwar nervig, eine Weiterfahrt ist aber dennoch möglich. Sind Fahrzeuge erst einmal autonom unterwegs, sind die Konsequenzen unangenehmer.»

Dr. Rico Baumgart — Teamleiter Simulation bei IAV

Die Suche nach dem Sweet Spot

Deshalb hat das Ingenieursteam um Baumgart eigene Modellierungsansätze entwickelt, die Bereiche am Fahrzeug mit hohem und geringem Verschmutzungsrisiko identifizieren – und das noch vor dem Bau erster Prototypen. Grundlage hierfür ist das Basistool MeshFree, ein neuartiger Algorithmus zur Berechnung von Flüssigkeitsströmungen des Fraunhofer-Instituts ITWM. Der IAV-Ansatz spart den OEMs aufwendige Testserien und damit Zeit und Geld – ein entscheidender Vorteil im Hinblick auf immer kürzere Entwicklungszyklen.

„Mit unseren Simulationsansätzen erkennen wir genau, wie hoch der Verschmutzungsgrad an den verschiedenen Stellen des Fahrzeugs nach einer Regenfahrt ausfällt. Daraus leiten wir Rückschlüsse für die spätere Sensorplatzierung ab“, sagt Baumgart. Auch Empfehlungen für kleine geometrische Veränderungen an der Karosserie, die Luftströme und damit Wasser und Dreck umleiten können, sind möglich. „In der Karosserieentwicklung werden ebenfalls Simulationstools verwendet, um zu bestimmen, welche Bereiche des Fahrzeugs von Verschmutzungen betroffen sein könnten. Daher entwickeln wir derzeit den genannten mathematisch-physikalischen Ansatz weiter, um auch diesbezüglich Aussagen treffen zu können“, verdeutlicht Christopher Franzke, Entwicklungsingenieur im Team Simulation bei IAV.

Ein weiterer Vorteil der IAV-Methode: Reinigungssysteme für die Sensorik lassen sich hinsichtlich ihrer Wirksamkeit bewerten und optimieren. Dies verringert den Bedarf an Reinigungsmittel, entlastet die Umwelt und häufiges Nachfüllen entfällt.

cropped cropped 20 vehicle development 210520 simulation verschmutzung v03 mtw scaled 1

Der Kunde bestimmt den Test-Case

Der Artikel erschien in der automotion 03/2021, dem Automotive Engineering-Fachmagazin von IAV. Hier können Sie die automotion kostenfrei bestellen.

Bleiben Sie auf dem Laufenden.

Anmeldung zum Newsletter