Aus alt wird neu: ­Boom-Markt Remanufacturing

Ressourcenschonung und Klimaschutz sind eng verflochten. Der absolute Rohstoffverbrauch in Industrieländern ist ökologisch betrachtet zu hoch. Wie kann Produktion effizienter gestaltet und der Bedarf an natürlichen Ressourcen gesenkt werden? Für einen maximalen Klimaschutzbeitrag über den gesamten Lebenszyklus setzt IAV – neben einer Vielzahl von innovativen Technologie- und Mobilitätskonzepten – auf die Wiederaufbereitung (Remanufacturing) sogenannter Altteile.

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Das Ziel von Remanufacturing ist lobenswert und ehrgeizig: Es soll Produkte und Komponenten nach ihrem regulären Nutzungszyklus wieder in einen neuwertigen oder zeitwertgerechten Zustand versetzen und somit eine Weiter- oder Zweitverwertung ermöglichen. Das Vorgehen spart Ressourcen, Energie und Kosten und leistet so einen wichtigen Beitrag zu nachhaltigen Produktlebenszyklen. Auch die Bundesregierung und die Europäische Union unterstützen diese Art der Kreislaufwirtschaft.

Das wohl bekannteste Beispiel für Remanufacturing im Automobilbereich sind runderneuerte Reifen, die insbesondere bei Nutzfahrzeugen von Relevanz sind. IAV entwickelt seit 2015 die wesentlichen Prozesse für das industrielle Remanufacturing von komplexen Systemen und Komponenten, beispielsweise in den Bereichen Logistik, Teilemanagement, Funktionsprüfung und Absicherung von Fahrzeugteilen wie Abgasturbolader (ATL), Automatik-Getriebe oder Gesamt-Triebwerke.

Dabei werden defekte Altteile mittels auf das Produkt angepasster Methoden wieder funktionsgerecht aufgearbeitet und ermöglichen so eine abgesicherte Wiederverwendung nach allgemeinen und individuellen OEM-Konstruktions- und Sicherheitsrichtlinien. Für die Prozessentwicklung nutzt IAV seine Erfahrungen aus der jahrzehntelangen Entwicklung konventioneller Antriebsstränge.

Remanufacturing hat sich heute neben der Vor- und Serienentwicklung als eine attraktive und nachhaltige Sparte im Fachbereich Verbrennungsmotoren etabliert. Rückblickend lösten abgasturboaufgeladene Verbrennungsmotoren im Zuge der strengeren Kraftstoff- und Emissionsvorgaben die Saugmotoren ab. Dadurch stieg die Ersatzteilnachfrage nach teilweise hochpreisigen Komponenten wie ATLs (ca. 1.000 Euro Neupreis plus Einbaukosten) signifikant an Höhe und Wiederaufbereitung entwickelte sich zu einer sinnvollen Alternative.

Bessere CO2-Bilanz, niedrigere Kosten

„Die Wiederaufarbeitung von Bauteilen verbessert die Ökobilanz und reduziert Kosten“, sagt Dr. Mirko Leesch, Fachbereichsleiter Verbrennungsmotoren und Kraftstoffsysteme. „Das ist ein wichtiges Thema für unsere Kunden und es wird noch wichtiger werden angesichts der wachsenden Bedeutung des CO2-Fußabdrucks von OEM-Produktionsketten und des allgemein hohen Kostendrucks.“

Die meisten Staaten der Welt haben sich im Sinne der Pariser Klimakonferenz von 2015 dazu bekannt, den Ausstoß von Treibhausgasen kontinuierlich zu verringern, und sich dabei konsequente Dekarbonisierungsziele bis spätestens 2050 auferlegt.

In der Folge erklärten die OEM die Elektromobilität zum wesentlichen Baustein für CO2-neutrale Mobilität. Bei einer umfassenden Betrachtung des gesamten Lebenszyklus, inklusive Produktion und Recycling am Ende der Lebensdauer, wird jedoch deutlich, dass batterieelektrische Fahrzeuge (BEV) aufgrund ihrer energieintensiven Herstellung und Entsorgung sowie des aktuell verfügbaren Strom-Mixes den Klimavorgaben nicht per se genügen und zwecks CO2-Zielerfüllung auch andere Technologien und Maßnahmen erforderlich sind.

Treiber E-Mobilität, HV-Speicher und BEV im Fokus

Aus Sicht von IAV ist eine solche Maßnahme das konsequente Remanufacturing: Die fortschreitende Elektrifizierung der Flotten mit Schwerpunkt auf BEVs werden dem Generalüberholungs- und Instandsetzungsmarkt qualitativ weiteren Schub verleihen. Insbesondere bei Hochvolt (HV)-Speichern von BEVs wird die Wiederaufarbeitung von teuren Komponenten wie Batteriemodulen oder Zellen künftig stärker nachgefragt sein, so Leesch.

«Wir wollen den Veränderungsprozess hin zur E-Mobilität und mehr Nachhaltigkeit mit unserer Expertise und spezifischem Know-how mitgestalten.»

Jan Becker — Abteilung für Verbrennungsmotorentwicklung

Bevor defekte E-Komponenten überarbeitet werden, müssen sie nach strengen Vorgaben auf ihre Tauglichkeit zur Aufarbeitung geprüft werden. Prädestiniert für solche Messungen sind die modernen Prüfstände von IAV, die sowohl für batterieelektrische als auch verbrennungsmotorische Antriebe mit intelligenten Testmethoden Benchmarks setzen.

„Wir haben sehr komplexe Kenntnisse in Prüfverfahren und den relevanten Prozessen im Remanufacturing“, sagt Jan Becker von der Abteilung für Verbrennungsmotorentwicklung. „Wir wollen den Veränderungsprozess hin zur E-Mobilität und mehr Nachhaltigkeit mit unserer Expertise und spezifischem Know-how mitgestalten.“

VDI sieht exorbitantes Wachstum bis 2030

Mit Blick auf die geplante Ausweitung des E-Fahrzeugangebots innerhalb der nächsten zehn Jahre müssen die OEM jetzt damit beginnen, Austausch- und Ersatzteile aufzubereiten, entsprechende Prozesse zu etablieren und Kontingente anzulegen. IAV kann diese Aktivitäten der OEM durch die tiefgreifenden Erkenntnisse aus der Vorserien- und Serien­entwicklung optimal unterstützen und den zu erwartenden Markthochlauf begleiten. Dabei stehen elektrische Systeme und Hochvolttechnik besonders im Fokus. Zum einen, weil der Markt hier besonders stark wächst, und zum anderen, weil die Einsparpotenziale für OEM hier besonders hoch sind.

«Saubere und nachhaltige Mobilität fängt in der Entwicklung an und geht über den klassischen Lebenszyklus von Fahrzeugen hinaus.»

Jan Becker — Abteilung für Verbrennungsmotorentwicklung

Der Verein Deutscher Ingenieure (VDI) erwartet laut einem Forschungsbericht von Dezember 2019, dass der Umsatz mit Aufbereitung und Wiederverkauf gebrauchter Teile und Komponenten in Deutschland im Jahr 2030 bis auf mindestens 43 Mrd. Euro steigen wird von derzeit circa 8,7 Mrd. pro Jahr. Zwei Drittel dieses Geschäfts entfallen auf die Luftfahrt- und Automobilbranchen.

„Im Moment schärfen wir die Prozesse vor allem für alle E-Traktionsbauteile nach, um die Fahrzeughersteller und Lieferanten in allen Wiederaufbereitungsthemen des Antriebsstranges zu unterstützen“, sagt Becker und ergänzt: „Saubere und nachhaltige Mobilität fängt in der Entwicklung an und geht über den klassischen Lebenszyklus von Fahrzeugen hinaus.“

Der Artikel erschien in der automotion 02/2020, dem Automotive Engineering-Fachmagazin von IAV. Hier können Sie die automotion kostenfrei bestellen.

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