Mobilität im Jahr 2030: Wasserstoff-Antriebe als eine sinnvolle Ergänzung zu batterieelektrischen Fahrzeugen

03.05.2021  — 

Berlin. In einer umfassenden Studie haben IAV-Experten auf Grundlage der Lebenszyklus-Betrachtung das CO2-Einsparpotenzial von alternativen Antrieben untersucht. Die erstmals auf dem Wiener Motorensymposium in Wien präsentierten Ergebnisse zeigen: Unter dem LCA-Mikroskop werden Wasserstoffantriebe zu einer sinnvollen Ergänzung zu rein batterieelektrischen Fahrzeugen.

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Matthias Kratzsch, Vorsitzender der Geschäftsführung von IAV: „Die vom Verkehrssektor verursachten CO2-Emissionen müssen deutlich sinken. Aus unserer Sicht konzentriert sich die öffentliche und politische Debatte jedoch zu oft auf das rein batterieelektrische Fahrzeug, während die gängige Tank-to-Wheel (TtW) Sichtweise wesentliche CO2-Verursacher vernachlässigt.“

«Mit unserer Studie wollen wir die Diskussion erweitern, in dem wir unter Lebenszyklus-Betrachtung nicht nur die CO2-Einsparpotenziale von E-Antrieben, sondern auch von Brennstoffzellen-Systemen und Wasserstoffverbrennungsmotoren bewerten und einordnen.»

Matthias Kratzsch — Vorsitzender der Geschäftsführung von IAV

Für die Studie haben IAV-Experten den anzunehmenden CO2-Footprint dreier Fahrzeugklassen (mittelschweres SUV, leichtes Nfz und schweres Nfz) für das Jahr 2030 untersucht. Je Fahrzeugklasse untersuchten die Autoren die CO2-Äquivalente, die bei der Verwendung eines rein batterieelektrischen Antriebs, einer Brennstoffzelle und eines Wasserstoffverbrennungsmotors anfallen würden. Die Berechnungen erfolgten gemäß einer Tank-to-Wheel, Well-to-Wheel und Lebenszyklus (LCA) Betrachtungsweise. Für letztere wurde der komplette Zyklus eines Fahrzeugs von der Rohstoffgewinnung über die Logistikkette, Produktion, Montage und Nutzung bis hin zum Recycling analysiert.

Für ihre Arbeit nutzten die Autoren GaBi, die führende Ökobilanz-Software im Automotive Bereich, und verwendeten Daten des Umweltbundesamts (UBA), etwa für die prognostizierte CO2-Intensität des deutschen Strommix in 2030. Dabei berücksichtigten sie den fortschreitenden Trend in der deutschen Automobilindustrie hin zu einer CO2-neutralen Produktion sowie eine zunehmende Fertigung von Batteriesystemen in Deutschland.

Marc Sens, Studien- und Fachbereichsleiter bei IAV, fasst die Kernergebnisse der Studie wie folgt zusammen: „Mit allen drei untersuchten Antriebsvarianten ließe sich unter konsequenter LCA-Betrachtung der CO2-Footprint im Verkehrssektor im Jahr 2030 deutlich reduzieren. Dabei ist ein Fahrzeug mit Brennstoffzellenantrieb je nach untersuchter Fahrzeugklasse ähnlich klimafreundlich wie ein rein batterieelektrisches Mobil – und damit eine sinnvolle Ergänzung im Flottenmix.“

Auch unter Einsatz eines Wasserstoffverbrennungsmotors ließe sich der CO2-Rucksack in allen Fahrzeugklassen deutlich verringern. Aufgrund des geringeren Wirkungsgrads verfehlt die Technologie jedoch knapp die Einsparpotenziale des untersuchten Brennstoffzellenantriebs. Sens: „Da der Wasserstoffverbrennungsmotor im Vergleich zur Brennstoffzelle deutlich robuster ist und zudem vergleichsweise schnell in die Serienreife überführt werden kann, ist er mehr als nur eine Brückentechnologie. Und das sowohl für schwere Pkw als auch für Nutzfahrzeuge.“ Brennstoffzelle wie Wasserstoffverbrennungsmotor überzeugen dabei auch in der Gesamtkostenrechnung und sind je nach Produktionsmethode und -ort konkurrenzfähig zu rein batterieelektrischen Antrieben.

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Besonders deutlich wird das Potenzial der drei Antriebstechnologien, wenn sie im Kontext der aktuellen CO2-Gesetzgebung betrachtet werden. Danach dürfen neu in der EU zugelassene Pkw aktuell ein Durchschnittsziel von 95 g CO2/km nicht überschreiten. Die Berechnungsmethode der EU basiert auf der Tank-to-Wheel Sichtweise und klammert damit wesentliche CO2-Quellen wie Rohstoffgewinnung, Produktion und Recycling aus. Die nun vorliegende Studie zeigt, dass unter Verwendung von rein batterieelektrischen wie auch wasserstoffbasierten Antrieben und möglichst CO2-neutraler Produktions- und Recyclingverfahren im Pkw-Bereich ein Wert von knapp über 70 g CO2/km sogar über den gesamten Lebenszyklus erreicht werden könnte.

„Auch in Fahrzeugklassen wie leichte Nutzfahrzeuge sind unter LCA-Betrachtung deutliche Einsparpotenziale bis 2030 möglich. Dabei ist die Brennstoffzelle (132 bzw. 117 g CO2/km) nach unserer Kalkulation dem rein batterieelektrischen Antrieb (139 g CO2/km) aufgrund der für die 500 km Zielreichweite erforderlichen Batteriegröße sogar leicht überlegen“, sagt Sens. Für schwere Nutzfahrzeuge sind unter LCA-Gesichtspunkten bei allen Antriebsvarianten ebenfalls deutliche CO2-Einsparpotenziale vorhanden. Ungeachtet der höheren Produktionskosten und einer notwendigerweise potenteren Ladeinfrastruktur spielt der rein batterieelektrische Antrieb im Schwerlastbereich sein Potenzial über den gesamten Lebenszyklus besonders gut aus. Aufgrund der langen Laufleistung von Lastwagen fällt die CO2-intensive Rohstoffgewinnung für Batteriesysteme hier weit weniger ins Gewicht als in anderen Fahrzeugklassen, weshalb der CO2-Footprint des rein batterieelektrischen Antriebs in der streckenspezifischen LCA-Betrachtung im besten Fall auf 126 g CO2/km sinkt.

«Unsere Ergebnisse zeigen bei einer ehrlichen Lebenszyklusbetrachtung das große CO2-Einsparpotenzial von Wasserstoff- wie rein batterieelektrischen Antrieben.»

Marc Sens — Studien- und Fachbereichsleiter bei IAV

Studienleiter Sens: „Potenziale durch eine grüne Stahlproduktion, die wir erst nach 2030 erwarten, sind dabei in der Studie noch gar nicht berücksichtigt. Klar ist aber auch: Eine deutliche CO2-Reduzierung im Verkehrssektor gelingt nur mit dem schnellen Ausbau der Erneuerbaren Energieproduktion, sowohl für eine möglichst saubere Strom- und Wasserstofferzeugung als auch für den konsequenten Einsatz in allen Lebensphasen des Fahrzeugs.“

  • Ausschnitt zu Berechnungsgrundlagen und technischer Hintergrund (weitere Details siehe Studie):
    • Die für die Studie ausgewählten und untersuchten Fahrzeugmodelle sind ein mittelschwerer SUV (500km Reichweite, 200.000 km Fahrleistung), ein Transporter (500km Reichweite, 200.000km Fahrleistung) und ein 35 Tonnen schwer Lastwagen (800km Reichweite, 1.000.000 km Fahrleistung). Für alle Fahrzeuge wurden die Antriebsformen Wasserstoffverbrennungsmotor, Brennstoffzellensystem, Batteriesystem und fossiler Dieselmotor analysiert. Jede Antriebsvariante wurde basierend auf den bis 2030 zu erwartenden technologischen Weiterentwicklungen untersucht und detailliert auf Energie- und Kraftstoffverbrauch optimiert.
    • Die Autoren kalkulierten, dass Rohstoffgewinnung und Zellfertigung weiterhin im Ausland und unter Verwendung des jeweils dort vorhandenen Energiemix stattfindet – Produktionsschritte wie Rohstoffbearbeitung und Batterie-Packaging, die Fahrzeugfertigung und das Recycling jedoch in Deutschland erfolgen würden. Die in Deutschland produzierte elektrische Energie wird aus erneuerbaren Quellen gewonnen und weist gemäß UBA (Rescue Ee1 Szenario) eine Intensität von 24 g CO2-Äquivalent pro Kilowattstunde auf. Für alle weiteren in Produktion und Entwicklung relevanten Energieformen wird der für Deutschland in 2030 erwartete Energiemix angenommen.
    • Auf Basis von Daten des UBA zu Stromerzeugungspfaden kalkulierten die Autoren für den getankten Strom zwei Szenarien: Strom aus Erneuerbaren Quellen (UBA: 24 g CO2 e/kWh) und Strom auf Basis des zu erwartenden Energiemix im Jahr 2030 (UBA: 220 g CO2 e/kWh). Für die Wasserstoffgewinnung verglichen die Autoren die Verfahren Elektrolyse, Methanpyrolyse und Dampfreformation mit und ohne Carbon Capture und Storage. Für alle Verfahren der H2-Produktion wurden die beiden Stromszenarien gemäß UBA-Datenbasis mit 24 g CO2 e/kWh (Erneuerbar) und 220 g CO2 e/kWh (Energiemix 2030) veranschlagt. Weiterhin wurde eine aus vollständig regenerativen Energiequellen produzierte und nach Deutschland importierte Wasserstoffvariante untersucht. Hier betrachtete die Studie einen möglichen Import von Wasserstoff aus der MENA Region.
    • Da insbesondere im Transportsektor auch die spezifischen Transportkosten eine entscheidende Rolle spielen, wurde im Rahmen der Studie abschließend eine sogenannte Gesamtkostenrechnung (Total Cost of Ownership – TCO) für die Fahrzeugbeschaffung und dessen Betrieb aus Nutzersicht durchgeführt.

Über IAV

IAV ist mit mehr als 8000 Mitarbeitern einer der weltweit führenden Engineering-Partner der Automobilindustrie. Das Unternehmen entwickelt seit über 35 Jahren innovative Konzepte und Technologien für zukünftige Fahrzeuge und setzte 2020 rund 896 Mio. Euro um. Zu den Kunden zählen weltweit alle namhaften Automobilhersteller und Zulieferer. Neben Fahrzeug- und Antriebsentwicklung ist IAV bereits frühzeitig in die Elektromobilität und das autonome Fahren eingestiegen und ist heute einer der führenden Entwicklungsdienstleister auf diesen Gebieten. Neben den Entwicklungszentren in Berlin, Gifhorn und Chemnitz/Stollberg verfügt IAV über weitere Standorte u.a. in München, Sindelfingen und Ingolstadt sowie in Europa, Asien als auch in Nord- und Südamerika.